Vorbemerkung (Claus):
Dieser Reisebericht durch die Schweiz besteht eigentlich aus zwei Teilen,
dem von Jeannine über ihre Wanderung und einem von Claus mit dem Begleitfahrzeug. Die Idee dieser Tour ist ja, dass Jeannine den nächsten Teil des Jakobswegs läuft und ich sie im WoMo begleite. Geplant ist nun die Strecke quer durch die Schweiz bis Genf. Bis Einsiedeln sind wir bereits beim letzten Mal gekommen, also starten wir nun dort.
Dies ist der Plan (Tagesziele):
- Einsiedeln – Brunnen
- Brunnen – Buochs
- Buochs- Flüeli-Ranftk
- Flüeli-Ranft – Brienzwiler
- Brienzwiler – Interlaken
- Interlaken – Zwieselberg
- Zwieselberg – Rüeggisberg
- Rüeggisberg – Fribourg
- Fribourg – Romont
- Romont – Moudon
- Moudon-Lausanne
- Lausanne-Allaman
- Allaman- Celigny
- Celigny – Genf
Das Ganze mit rund 10 Tagen Verspätung, weil ich noch “dringend“ ein neues eBike für die Ferien brauchte! Wegen des Feier- und Brückentags waren die Geschäfte allerdings geschlossen, sodass ich erst 4 Tage später die Probefahrten machen konnte. Nach der Entscheidung für ein Velo sollte ich abends (nachdem die Monteure alles auf mich eingestellt hatten) noch eine 2. Probefahrt machen. Ging eigentlich gut, bis mir auf dieser kurzen Strecke ein Autofahrer die Vorfahrt nahm und ich mit dem Velo umkippte. Die nächsten 4 Tage pflegte ich dann meine Hüfte und das Knie – und wir mussten unsere Abreise wieder verschieben.
Nun sind wir allerdings tatsächlich unterwegs.
Abfahrt:
Dienstag, 7.6.
Jeannine:
Heute müssen wir nur bis Einsiedeln fahren, wo ich morgen früh loslaufen will. Da wir es ja nicht eilig haben, starten wir erst um 16 Uhr und kommen prompt in den Feierabendverkehr in Zürich. Aber egal. Um 18:30 sind wir da, parken auf dem Stellplatz am Friedhof, laufen noch eine Runde zur Klosterkirche und liegen im Bett, bevor es noch richtig dunkel ist.
Mittwoch, 8.6.
Um 8:15 bin ich auf der Piste. Es ist ein strahlend schöner Morgen. Schon noch recht frisch, aber keine Wolke am Himmel und warm in der Sonne. Der Weg führt um Einsiedeln herum und dann ca. 2 Stunden das Alpthal entlang bis zum gleichnamigen Ort. Von dort aus geht es die nächsten beiden Stunden sehr steil bergauf bis zu einem Sattel namens Hagenegg, der neben den beiden Mythen liegt, zwei sehr markanten Bergen.
Von Hagenegg aus hat man zunächst einen absolut phantastischen Blick auf den Vierwaldstätter- und den kleinen Lauerzersee, bevor es mindestens genauso steil bergab geht Richtung Schwyz. Leider haben sich in der Zwischenzeit diverse Wolken versammelt und trüben die Aussicht ein bisschen. Aber es bleibt absolut imposant.
In Schwyz bin ich nach 21 km und 520 Höhenmetern rauf und über 900 Höhenmetern runter ziemlich geschafft. Die letzten 6 km bis Brunnen schummle ich und nehme den Bus. Hat Hape Kerkeling übrigens auch manchmal gemacht. Um 15:30 bin ich in Brunnen bei Claus auf dem Campingplatz, um 16 Uhr beginnt es zu schütten. Perfektes Timing also. Insgesamt war das ein gelungener Jakobsweg-Start, wobei ich noch ziemlich mit mir selbst und den diversen Wehwehchen (linker Fuß, rechtes Knie, Hüfte,…) beschäftigt war. Egal, man muss sich einfach erstmal einwandern und den eigenen Rhythmus finden.
Claus: Nachdem Jeannine gestartet ist, frühstücke ich noch gemütlich und mache im Auto alles parat. Der Stellplatz (beim Friedhof Einsiedeln, CHF 25.- pro 24h) war nachts sehr ruhig, wandelte sich dann allerdings am Mittwoch Vormittag zu einem Rastplatz für Handwerker, Hunde-Spaziergänger u.a. Also möglichst schnell weg. Gegen 10.30 bin ich dann aufgebrochen.
Da ich ja nicht lange für die reine Fahrt zum nächsten Treffpunkt brauche, bin ich schon gegen 11.00 dort, in dem Ort Brunnen. Was Jeannine in rund 8 Stunden läuft, fahre ich ja in ca. 30 Minuten.
In Brunnen sind wir auf einem kleinen Campingplatz mit Seeanstoss. 90% aller Gäste (die allerdings nicht da sind) sind Dauercamper mit Wohnwagen. So bin ich quasi mit den Betreibern des Platzes, Jean-Paul und Doris, alleine. Die Abwechslung bieten “Kollegen“ und Bekannte, die gerne auf einen Apero um 11.00 oder auf einen zweiten um 15.00 vorbeikommen. So lerne ich unter anderem einen Polizisten, einen Immobilien-Mogul, einen Ferrari-Fahrer kennen.
Ein sehr abwechslungsreicher Nachmittag und Abend, bei dem quasi kein Thema ausgelassen wird (Sprit-Preise, Asylanten, Ukraine, Ferienwohnungen, Baubewilligungen, Elektro-Autos, usw., usw.). Sehr spannend und z.T. extrem lustig.
Von Jean-Paul und Doris werde ich fast adoptiert, was bedeutet, dass sie mir am nächsten Morgen Kaffee spendieren und sagen, dass ich natürlich vom Platz fahren kann, wann ich möchte (normalerweise bis 11.00) und mir das Tor offen lassen. Die Übernachtung kostet übrigens CHF 48.-
Donnerstag, 9. Juni 2022
Jeannine: Es schüttet die ganze Nacht, und es schüttet morgens, als der Wecker klingelt. Heute führt der Jakobsweg als erstes über den See. Mit dem Kursschiff fahre ich von Brunnen nach Treib genau gegenüber. Das ist schonmal ein sehr schöner Start, zumal auf dem Schiff auch schon Kaffee serviert wird.
Das Wetter hat sich beruhigt, und ich laufe in der Sonne dem See entlang nach Westen und in die Höhe. Was ist das doch für eine schöne Gegend!
Im Laufe des Tages ist nochmal starker Regen angesagt, und ich bin ein bisschen beunruhigt wegen der heutigen Tour, die durch den Wald führt und „Trittsicherheit“ erfordert. Ich habe großes Glück, weil der Regen erst einsetzt, als ich den kritischen Bereich hinter mir gelassen habe. Trotzdem sind die Wege (und die Wurzeln auf den Wegen) nach dem vielen Regen völlig aufgeweicht und entsprechend glitschig. Außerdem ist das wieder so eine Strecke, die eigentlich nicht für Angsthasen wie mich geeignet ist. Rauf geht ja noch, aber runter laufe ich wie auf Eiern.
Ich bin so erleichtert, als ich wieder unten bin, dass ich mich sogar über die geteerte Straße freue, auf der ich die nächsten Kilometer nach und durch Beckenried laufe. Inzwischen hat schlagartig heftiger Wind eingesetzt, gefolgt von ebensolchem Regen. Ich teste meine Pelerine, die wunderbar funktioniert, zumindest oben rum. Die Hosen werden leider trotzdem nass, aber die trockne ich in einem Café in Beckenried, in dem ich mir ohne jedes schlechte Gewissen ein Törtchen genehmige.
Von Beckenried sind es nochmal etwa 1 1/2 Stunden nach Buochs, wo mich Claus auf dem Campingplatz erwartet. Kaum habe ich die Tür des Wohnmobils hinter mir zugezogen, geht auch schon wieder der nächste Guss runter. Punktlandung.
Claus: Ich schlafe bis nach 10 Uhr und frühstücke “bei und mit“ Jean-Paul und Doris. Ein erster Stammgast sitzt bereits beim Prosecco. Wir verabschieden uns herzlich, und ich fahre zur Fähre nach Gersau, um unseren nächsten Campingplatz anzufahren, an dem Jeannine mich nachmittags wieder treffen wird.
Die Fähre ist leer (unser WoMo und ein VW-Bus). Ich überlege kurz, ob ich wirklich übersetzen soll, da sich ein heftiger Wind aufbaut und sich erste Schaumkrönchen bilden. Es bleibt dann aber doch recht ruhig auf der Überfahrt. Nach wenigen Kilometern an Land bin ich beim ausgesuchten (und reservierten) Campingplatz. Ab ca. 12.00 habe ich jetzt Zeit, auf Jeannine zu warten.
Freitag, 10. Juni
Jeannine: Bei der heutigen Etappe stimmt alles: die Strecke, das Wetter und vor allem die traumhafte Landschaft. Ich bin schon um 7:45 unterwegs und laufe zunächst weg vom Vierwaldstätter See nach Stans, der Hauptstadt des kleinen Kantons Nidwalden. Auf dem Platz vor der Kirche gönne ich mir einen Kaffee und ein Gipfeli und beobachte zwei Frauen, die den gleichen Jakobsweg-Führer bei sich haben wie ich. Den beiden – Priska und Susanne aus Luzern – werde ich im Laufe des Tages noch mehrfach begegnen.
Von Stans aus geht es über Hügel entlang des Stanser Horns nach Süden. Es wird idyllischer, je weiter man sich vom dicht besiedelten Vierwaldstätter See entfernt. Entlang des Jakobswegs gibt es immer wieder reizende Versorgungsstationen wie die vom Hof Murmatt, in der sehr leckerer Birnenmost gezapft werden kann.
Es ist ja der erste schöne Tag nach einer Regenperiode. Das bedeutet, dass alle Bauern ihre Wiesen mähen, wirklich alle Bauern. So viele unterschiedliche Mähfahrzeuge habe ich noch nie gesehen. Ein Bauer will wissen, wohin ich wandere und gibt mir den guten Rat, immer wieder auch nach hinten zu blicken. Und tatsächlich: Kurz vor meinem Ziel in Flüeli-Ranft sehe ich zum letzten Mal einen Zipfel des Vierwaldstätter Sees.
Die Etappe heute heißt auch „Bruder-Klaus-Weg“. In vielen Tafeln entlang des Weges wird das Leben und Wirken des Mystikers und Schweizer Nationalheiligen erklärt. Klaus von Flüele war ein wohlhabender Bauer im 15. Jahrhundert. Er war außerdem Ratsherr des Kantons und Richter in seiner Gemeinde Flüeli. Mit seiner Frau Dorothea hatte er zehn Kinder. Im Alter von 48 Jahren legte Niklaus alle seine Ämter nieder, entschied sich – mit Einwilligung seiner Frau – fortan als Einsiedler zu leben und nannte sich Bruder Klaus. Nach einer kurzen Pilgerfahrt ließ er sich nur 300 m entfernt vom Wohnhaus seiner Familie in einer Schlucht nieder (im sogenannten Ranft) und lebte dort die nächsten 20 Jahre betend und fastend. Angeblich soll er nur noch die Hostien der Heiligen Kommunion und Wasser zu sich genommen haben. Na ja. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Leiden Christi und wurde von Visionen heimgesucht.
Bruder Klaus wurde als Seelsorger und – heute würde man sagen – politischer Berater bekannt, dessen Rat auch von ausländischen Staatsoberhäuptern gesucht wurde. Er vermittelte in der sogenannten Stanser Vorkomnis 1481, einem zunächst unlösbar scheinenden Konflikt zwischen den „Stadtorten“ Luzern, Zürich, Bern und den dem „Landrecht“ verbundenen Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug. Eine geheime Botschaft des Bruder Klaus konnte bewirken, dass der Konflikt beigelegt, die drohende Spaltung der Eidgenosenschaft abgewendet und die Kantone Fribourg und Solothurn aufgenommen wurden.
Schon zu seinem Lebzeiten pilgerten die Menschen zu dem berühmten Einsiedler, aber auch nach seinem Tod riss der Besucherstrom nicht ab. Direkt neben die Klause des Mystikers war eine Kapelle gebaut worden, die aber bald zu klein war für die vielen Pilger. 1501 wurde eine neue, größere Kapelle etwas weiter unten im Ranft errichtet, in der ein Freskenzyklus vom Leben und Wirken des Bruder Klaus erzählt. 1947 wurde er übrigens heiliggesprochen.
Der Jakobsweg führt zur Klause und den beiden Kapellen im Ranft hinunter und von dort über Treppen zu dem reizenden Dorf Flüeli hinauf, wo noch das Geburts- und das Wohnhaus von Niklaus stehen. Dominiert wird das Dorf allerdings von einem sehr viel profaneren Gebäude, vom Jugendstilhotel „Paxmontana“.
Das war mit rund 25 km heute die längste Etappe. Ich bin geschafft, aber sehr zufrieden. Von Flüeli-Ranft aus nehme ich den Bus nach Sarnen, wo Claus auf dem Campingplatz am auf mich wartet.
Claus: Endlich schönes Wetter! Bin froh, den Campingplatz in Buochs gegen 10.00 zu verlassen, der wie ein Auto-Abstellplatz wirkt. Da er wohl relativ neu ist, gibt es keine grossen Bäume und nur ein paar niedrige Hecken. Eigentlich steht man auf einem Wiesen-Parkplatz (für CHF 39.- ), auf dem es ausser einem sehr aufwendigen “Empfangsgebäude“, diversen Schranken und Zufahrtsmöglichkeiten nichts Schönes gibt. Immerhin kann ich noch Frischwasser tanken und Grauwasser ablassen.
Dann geht es auf die Reise zum nächsten Campingplatz nach Sarnen. Heutige Fahrstrecke: 25 Kilometer. Dieser Platz (direkt am Sarner See) hat wesentlich mehr Charme – aber leider naht das Wochenende, und es besteht keine Möglichkeit, den Aufenthalt zu verlängern (ich frage direkt beim Einchecken danach). Hier hätte man auch mal 2-3 Tage ausgehalten…
Samstag, 11. Juni
Jeannine: Heute stehen zwei Seen und ein Pass auf dem Programm. Zunächst geht es auf einem eher langweiligen Uferweg dem Sarner See entlang, an dessen Ende wir gecampt haben. Dann gibt es einen Anstieg, und hinter dem Ort Kaiserstuhl folgt ein zweiter See, der etwa 100 Meter höher liegt: der Lungener See.
Der erste Blick nimmt einem buchstäblich den Atem. Der See hat eine geradezu berückende Farbe, ein intensives Türkis. Im Kontrast mit den dunkel bewaldeten Bergen im Hintergrund und den schneebedeckten Gipfeln, die man in der Ferne sieht, ist das einer der schönsten Seen, die man sich vorstellen kann.
Der Lungerner See – dessen Becken von einem eiszeitlichen Gletscher ausgewaschen wurde, wird übrigens „wandernder See“ genannt, weil seine Ausdehnung mehrfach künstlich verändert wurde. Im 18. Jahrhundert kam die Idee auf, den See künstlich abzusenken, um weiteres Land für Besiedlung und Bewirtschaftung zu gewinnen. Dieses Projekt spaltete das Dorf Lungern in Befürworter („die Nassen“) und Gegner („die Trockenen“). Nach dem Start 1790 drohte drohte es aus Geldmangel immer wieder zu scheitern. Der Kanal durch den Felsen, der den See nach Norden hin abriegelt, wurde schließlich 1836 mit einer Sprengung abgeschlossen. Der Seepegel sank in den folgenden Monaten langsam um 18 m und gab 170 Hektar Land frei, das in den folgenden Jahren bewirtschaftet werden konnte. Dabei blieb es allerdings nicht. Nur 85 Jahre später wurde der See für die Stromgewinnung erneut auf das alte Niveau gestaut. Heute wird in einem Kavernenkraftwerk im Felsinneren Strom produziert. Im Winter wird der Seepegel um 40 m gesenkt, um genügend Platz für das Schmelzwasser im Frühling zu lassen.
Der Weg um diesen See ist einfach wunderschön. Allerdings ziemlich eben. Wie auch der Weg entlang des Sarner Sees. Nach ca. 15 km ebener Gehstrecke bin ich völlig geschafft, und mir tut einfach alles weh. Dann aber kommt der Brünigpass (400 steile Höhenmeter), bei dem ich dummerweise die Route wähle, die entlang der Kantonsstraße führt. An diesem wunderschönen Samstag ist dort die Hölle los. Jeder, der ein Cabrio oder ein „Töff“ (wie es in der Schweiz heißt) besitzt, muss heute die Pass-Straße fahren. Die Geräuschkulisse ist nicht eben das, was man sich bei einer Bergwanderung vorstellt. Als ich oben ankomme, mag ich nicht mehr. Da steht doch praktischerweise ein Postbus am Bahnhof, der mich direkt zu dem Bauernhof-Wirtshaus-Stellplatz für heute Abend fährt. Vor lauter Erleichterung lasse ich meine Wanderstöcke am Bahnhof stehen. Den Suchantrag über die SBB stelle ich gleich darauf. Schauen wir mal, ob ich die Stöcke wiederbekomme.
Claus: Nach einer erneuten Fahrt von ca. 30 KM bin ich um ca. 11.00 bei einem Bauern-/Landgasthof, der Stellplätze auf “Wohnmobil-Land“ anbietet. Sehr rustikal. Sehr speziell. Aber cool.
Die sehr nette Wirtin zeigt mir das Camper-Bad und die separate Toilette. Diese wurden im Dach eingebaut. Dort gibt es für uns (wenn man bräuchte) ein Kochplattenfeld, eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine.
“Mein“ Stellplatz wird freigeräumt, während ich einen Kaffe trinke und mich eingewöhne. Der Stammtisch ist sehr gut gefüllt. Ich bin der einzige der Kaffee trinkt 😉
Da der Platz keinen Schatten bietet (im Auto mittlerweile ca. 36 Grad), bleibe ich in der Gartenwirtschaft und lausche den sehr interessanten und durchaus sehr lustigen Gesprächen. Einziger wirklicher Nachteil: Tausende von Fliegen.
Was wirklich kaum zu glauben ist: Es gibt eine Mittagsmenue mit Suppe, Salat, Schnitzel und Pommes für CHF 10.- !!!!! Ja, wir sind in der Schweiz, aber dies ist eine Marketing-massnahme der Wirtin (nur Samstags). Ich bestelle – und bin sehr überrascht: Viel und sehr lecker. Das Mittagsmenue ist übrigens ein Tagesmenue – das ich abends nochmals esse.
Jeannine erreicht den Stellplatz gegen 16.00. Kurz darauf kommt eine weitere Jakobs-Wanderin, mit der wir sofort in Gespräch kommen (Gesche aus Hamburg, die in der Schweiz wohnt). Sie übernachtet auf dem Bauernhof, der auch einfache Zimmer anbietet. Wir essen zusammen zu Abend (jeweils das Menue 😉 und haben viel zu erzählen.
Da sie ihren Rucksack kaum noch tragen kann (sie muss natürlich alles an Klamotten, Handtücher, Schlafsack, etc. mitschleppen) biete ich an, ihr Gepäck am Sonntag im Auto mitzunehmen und uns dann auf dem nächsten Campingplatz wieder zu treffen. Da sie die gleiche Strecke wir Jeannine wandert, ist dies kein grosser Umweg.
Sonntag, 12. Juni
Jeannine: Claus steht heldenhaft um 7:30 Uhr mit mir auf, damit wir gemeinsam im Wirtshaus frühstücken können. Unsere Bekannte Gesche aus Hamburg ist auch schon da. Wir wollen uns abends wieder treffen, aber die Strecke jeweils allein laufen.
Der Weg führt zunächst durch den Ort Hofstetten, in dem der Schweizer Spielwarenhersteller Trauffer ein markantes „Bretterhotel“ errichtet hat. Dort kann man nicht nur übernachten, sondern die Produktion besichtigen, Schnitzkurse buchen und Holzkühe mit roten Punkten bemalen. Einen Shop gibts natürlich auch, an dem laufe ich später vorbei.
Trauffer ist heute der bekannteste und größte Schnitzbetrieb in Brienz, das früher für sein Schnitzhandwerk berühmt war. Um 1900 soll es hier 650 Holzschnitzer gegeben haben. Heute dominiert natürlich der Tourismus. Aber mit Dutzenden von Holzskulpturen entlang des Wanderwegs durch das Dorf hat Brienz seiner Tradition schöne Zeichen gesetzt. Nett sind auch die Boxen an der Promenade, in denen Liegestühle deponiert sind, die zum Verweilen und Genießen einladen.
Heute laufe ich also den Brienzer See entlang Richtung Interlaken. Es wird ziemlich heiß und es gibt einige Höhenmeter zu bewältigen, wenn der Weg vom See wegführt. Aber man wird mit grandiosen Blicken auf den See und die Bergketten gegenüber belohnt, und auf den Waldwegen ist es angenehm kühl.
Ein Highlight ist die Überquerung der Hängebrücke oberhalb von Oberried. Die 80 m lange Stahlkonstruktion überspannt ein 70 m tiefes Tal, schwankt gehörig und macht sehr eindrückliche Geräusche.
Gegen 15 Uhr bin ich bei Claus auf dem sehr netten Campingplatz in Ringgenberg. Gesche kommt eine Stunde später an, genauso geschafft von der Hitze wie ich. Sie holt ihren Rucksack bei uns ab und kommt abends nochmal wieder zum Essen. Wir verbringen einen interessanten und amüsanten Abend mit ihr.
Claus: Ich fahre weiter (diesmal ganze 17 KM), zu einem Campingplatz in Ringgenberg, den wir gestern für 3 Tage gebucht haben. Wir haben uns darauf geeinigt, eine Pause einzulegen und die Wanderung zu unterbrechen. Dies auch, damit ich mal wieder richtig campen (und hoffentlich mein neues eBike ausprobieren) kann. Wenn ich nur einen Nachmittag auf einem Campingplatz bin, lohnt es sich nicht, die Fahrräder abzuladen (auch wegen meiner noch anhaltenden leichten Schmerzen). Dadurch können wir aber die Hecktüren nicht öffnen und z.B. die Markisenstange nicht rausholen. Bedeutet: Im Auto sitzen (sehr heiss) oder in der Sonne vor dem Auto …(auch heiss).
Heute ganz anders: Um ca. 10.30 Uhr angekommen, Fahrradträger demontiert, Markise ausgefahren, Stühle und Tisch aufgebaut = Camping!
Ein sehr netter, ruhiger Platz mit sehr freundlichen Gastgebern. Freue mich, dass wir nun mal ein paar Tage an EINEM Ort sind. Ausserdem können wir auch mal wieder ausschlafen. Die letzten Tage ging Jeannines Wecker immer gegen 7:30. Heute waren wir tatsächlich schon um 7.55 (!!!!!!!!) im Gasthof frühstücken. Nicht meine Zeit.
In rund zwei Stunden kommen dann die beiden Wanderinnen. Jeannine hat angeboten für uns drei zu kochen. Rotwein habe ich bereits gekauft.
Das Wetter ist super. Der Platz ist toll. Und wir bleiben drei Tage. Alles Topp!,
Montag, 13.6.
Jeannine: Heute ist ein Pausen-Tag. Wir schlafen aus, wie frühstücken gemeinsam und in Ruhe, wir waschen Wäsche. Nachmittags fahre ich mit dem Rad nach Interlaken, staune über die vielen Chinesen, die schon wieder hier sind, und statte der Migros einen Besuch ab. Das Wetter ist Aprilmäßig, es schüttet immer mal wieder. Die Kniegelenke freuen sich auch über die Pause.
Dienstag, 14.6.
Claus: Da wir ja noch auf dem gleichen Campingplatz wie gestern sind, können wir auch heute in Ruhe frühstücken (Gipfeli und Brot sind sehr lecker) und überlegen, was wir denn so machen. Ausserdem schliessen wir unser WoMo das erste Mal an den Landstrom an, da wir unsere diversen Akkus (2x eBikes, 1x Akkustaubsauger, 1x Zahnbürste und 1x ipad) laden möchten .
Jeannine möchte eine Wanderung (unabhängig vom Jakobsweg) machen und ich möchte heute endlich mal auf meinem neuen Bike sitzen.
Was ich dann auch, sehr vorsichtig, mache und 2x ca. 30min durch die Gegend fahre. Es gibt einige Dinge an die man sich erst gewöhnen muss, z.B. der per Knopfdruck höhen-verstellbare Sattel. Wenn man anhält, muss dieser unten sein….sonst fällt man halt wieder um.
Im Auto sind es jetzt, 15:30, 29,3 Grad. Draussen wahrscheinlich noch etwas mehr. Aber ich wollte ja Sonne und Wärme.
Schade das wir morgen schon weiterfahren, denn dieser Campingplatz ist unheimlich nett gestaltet, gemütlich und friedlich.
Wenn Jeannine zurück ist, werden wir besprechen, wie und wohin es morgen weitergeht. Sie denkt darüber nach, 2-3 Etappen von ihrer Wanderung zusammenzufassen und diese mit dem Fahrrad zu machen, da die kommenden Abschnitte wohl sehr viel Asphaltstrecken beinhalten – was extrem auf die Gelenke geht.
Nebenbemerkung: Obwohl wir unterwegs sind, haben wir gestern und vorgestern mit Freunden “Face-timen“ können. Früher hätte man eine Postkarte geschrieben, die dann vielleicht in 2 Wochen beim Empfänger gewesen wäre. So sind wir auf dem aktuellen Stand wie es “denen“ daheim geht. Der Technik sei Dank.
Was ausserdem unglaublich ist: Heute ist Dienstag und wir sind erst vor einer Woche losgefahren. Ich habe das Gefühl, dass wir schon wesentlich länger unterwegs sind.
So, nur wenige Minuten nachdem ich das oben geschrieben habe, kam Jeannine von ihrer Wanderung. Begeistert. Entsprechend war unsere “Besprechung“ sehr kurz: Wir bleiben noch 2 Tage länger (also bis Freitag) hier. War gerade bei der Rezeption und habe entsprechend verlängert. Super!!
Das ist auch das Schöne am Camping: Wenn es einem gefällt, kann man (meist) spontan entscheiden, ob man länger bleibt oder doch lieber weiterfährt.
Jeannine: Dass es wunderbare Wandertouren auch (oder vielleicht gerade) abseits des Jakobswegs gibt, teste ich heute. Ich fahre mit dem Bus nach Interlaken und laufe in 2 1/2 Stunden auf die Harder Kulm, eine Art Kanzel direkt über dem Ort mit sagenhaftem Blick in die Jungfrauregion und auf die beiden Seen, den Brienzer und den Thuner See.
Der Weg ist zwar richtig steil (700 Höhenmeter auf nur 4 km), aber völlig problemlos zu gehen, also auch für Angsthasen geeignet. Er führt praktisch ausschließlich durch Wald, was bei der Hitze heute extrem angenehm ist. Oben gibt es eine spektakuläre Aussichtsterrasse, auf der wahrscheinlich täglich mehrere Tausend Fotos geschossen werden.
Ach ja, es führt eine Standseilbahn hoch, und die meisten der – sehr internationalen – Besuchern kommen auf diesem Weg nach oben. Ich fahre dann lieber runter wegen der Knie. Kurz vor der Endstation werden die Fahrgäste in sieben (!) Sprachen verabschiedet, darunter drei asiatischen.
Nach dem internationalen Gewusel in Interlaken ist unser Campingplatz eine echte Oase. Wie es weitergeht, hat Claus ja eben schon geschrieben.
Mittwoch, 15.6.
Jeannine: Nach der Wanderung gestern fahre ich heute mit dem Rad um den Brienzer See herum. Mit dem E-Bike ist das eine gemütliche Tour von 40 km, trotz der ca. 300 Höhenmeter. Ich schaue mir nochmal Brienz an, bewundere die alten Holzhäuser in der Dorfmitte und plaudere mit einem jungen Litauer, der vor 2 1/2 Wochen mit dem Rad in León in Nordspanien gestartet ist und in den nächsten beiden Tagen noch bis Zürich fahren will. Ohne E-, wohlgemerkt.
Die Südseite des Brienzer Sees ist stark bewaldet und steiler als die Nordseite, die ich ja am Sonntag entlang gewandert bin. Es schaue mir die Giessbach-Wasserfälle an, bei denen das Wasser in 14 Kaskaden und über 500 Meter in den Brienzer See stürzt. Dieses Schauspiel veranlasste einen Französischen Hotelier 1875 am Fuss der Wasserfälle ein Grandhotel zu bauen. 100 Jahre später stand das Grandhotel Giessbach vor dem Aus, sollte abgerissen und durch einen Betonneubau ersetzt werden. Ein Heimatschützer konnte erwirken, dass es unter Denkmalschutz gestellt wurde, und eine Stiftung ermöglichte die sukzessive Renovierung. Heute ist der Platz am Hotel eine der Stationen der Grand Tour of Switzerland.
Von den Giessbachfällen aus geht es immer weiter bergauf und bergab durch den Wald nach Westen Richtung Interlaken und von dort zurück auf unseren Campingplatz.
Claus: Heute ein “Technik-/Haushaltstag“. Da unser Frischwasser leer und die Trocken-Trenn-Toilette (TTT) fast voll ist, muss etwas unternommen werden. Also Markise eingerollt, Tisch und Stühle zur Seite, alles im Auto gesichert – und dann die ca. 200m zur Ent-/Versorgungsstation gefahren. 100L Frischwasser befüllt und Grauwasser entsorgt.
Danach die 200m wieder zurück an unseren Stellplatz gefahren. Markise ausgerollt, Tische und Stühle wieder plaziert und erst einmal ein Wasser getrunken.
Dann 1,5 L Wasser gekocht und einen neuen Kokosziegel für die Toilette angesetzt. TTT ausgebaut, Inhalt aus TTT in einen Müllsack und TTT mit neuem Kokosziegel befüllt. Fertig. Hier haben wir nun wieder Ruhe, für ca. 14 Tage. Die Wasser-rein-raus-Mimik machen wir dann nochmals hier auf dem Campingplatz bevor wir am Freitag abreisen.
Wollte eigentlich noch ein bisschen Fahrradfahren, aber nun ist es definitiv zu heiss. Laut Wetter-App 27, gefühlt 30 Grad (15:30). Im Schatten, mit viel Wasser, lässt es sich aber gut aushalten.
Jeannine ist vor ein paar Minuten von ihrer Fahrradtour zurückgekommen.
Donnerstag, 16.6.
Jeannine: Gestern Abend und in der Nacht hat es gewittert und heftig geregnet. Für heute ist eigentlich schönes Wetter angesagt, aber beim Aufstehen sieht es gar nicht danach aus. Schwarze Wolken hängen über den Bergen. Ich disponiere um und mache nur eine Wanderung um unseren Ort herum. Am Ende sind das dann doch 12 km und 440 Höhenmeter und ganz ohne Regen, dafür sehr schwül. Aber ich hätte jederzeit abbrechen können.
Zurück auf dem Campingplatz haben wir neue Nachbarn aus Schwäbisch-Hall, die uns spontan zwei Cremeschnitten zum Kaffee spendieren. Die saugen wir geradezu ein. Wir revanchieren uns abends mit einem Apéro und hocken schließlich noch bis 23 Uhr beisammen.
Claus: Das Pärchen hat übrigens auch einen Peugeot Boxer (wie wir), allerdings komplett selbst ausgebaut. Respekt!
Das Fahrzeug haben sie gebraucht gekauft (von einem Gärtnerbetrieb) und dann für “Wochenende-Ausflüge“ ausgebaut. Nun sind sie das erste Mal etwas länger unterwegs – und leider tropft es irgendwo. Sie müssen am nächsten Tag alles abbauen und zu einem Camping-Laden fahren, um dort ein Schelle für eine Wasserleitung zu kaufen.
Morgen geht es auf dem Jakobsweg weiter. Wegen der vielen Asphaltstrecken und weil für die nächsten Tage über 30 Grad angesagt sind, werde ich die restlichen Etappen bis Genf aufs Fahrrad umsteigen.
Freitag 17.6.
Jeannine: Es soll heute richtig heiß werden, aber als ich um 8:30 starte, ist es noch angenehm kühl. Ich fahre heute zwei Wanderetappen mit dem Rad. Der Weg führt durch Interlaken (wo schon einige Chinesen unterwegs sind) und entlang der Südseite des Thuner Sees. Der See liegt noch im Morgendunst und hat eine fast mystische Ausstrahlung.
Ab dem reizenden Städtchen Spiez fahre ich weg vom See und weg von den Alpen, die über die nächsten Kilometer immer noch als prachtvolle Kulisse im Hintergrund zu sehen sind. Ich komme an schönen Bauernhäusern mit unglaublich prachtvollen Bauerngärten vorbei.
Es ist schön, durch die hügelige Landschaft zu fahren, aber doch ganz anders als Wandern. Beim Wandern sieht man noch mehr, und der Rhythmus ist gewissermaßen unverfälschter.
Ich treffe Claus schon gegen 13 Uhr auf dem Stellplatz an einem Restaurant, den wir uns ausgesucht hatten. Das Restaurant punktet zwar mit besonders guten Fleischgerichten und mit einer Männergruppe im Hinterzimmer, die singt und jodelt. Aber ansonsten ist es gräßlich, weil das Wohnmobil in der prallen Sonne auf einem Parkplatz und an einer belebten Landstraße steht. Hier können wir nicht bleiben. Aber das wird Claus genauer beschreiben.
Claus: Jeannine hat erstmals ein Etappe mit dem Fahrrad gemacht, bzw. 2 Etappen zusammengefasst.
Geplant war, sich auf einem Stellplatz an einem Restaurant zu treffen und dort zu übernachten. Ich war zuerst dort und nicht sonderlich begeistert. Trotz der Hitze habe ich mir Hörnli mit Gehacktem bestellt und mir beim Essen den Platz angeschaut: Kein Strom, kein Wasser, ein grosser Kiesparkplatz an einer recht stark befahrenen Strasse – ohne jeglichen Schatten.
Jeannine kommt ca. 1 Stunde nach mir an, und wir sind uns einig, dass wir dort nicht übernachten wollen (wo sollten wir uns auch den ganzen Nachmittag aufhalten?). Also entscheiden wir, etwas von der Route abzuweichen und auf einen kleinen Campingplatz in der Nähe zu fahren. Da dieser nur ca. 3 KM entfernt ist, fährt Jeannine mit dem Fahrrad und ich mit dem WoMo dorthin.
Eine SEHR gute Entscheidung. Ein ganz kleiner Platz, auf dem wir den einzigen Schattenplatz bekommen. Ein “Träumchen“.
Neben uns stehen unglaublich nette und hilfsbereite Nachbarn (Dauercamper). Da der Platzwart nicht vor Ort ist (er ist Lokführer, und kann nur an seinen Haltestellen mit uns telefonieren), erklärt uns die ältere Dame alles, was wir wissen müssen. So haben wir einen tollen Schattenplatz, können uns entspannen – und im blitzsauberen Clubhaus duschen (dieser Campingplatz ist ein Verein).
Samstag, 18.6.
Claus: Auf diesem Platz hätte man noch Tage bleiben wollen…aber er war leider ab Mittag vergeben. Da es sehr heiss werden soll, beschliessen wir kurzfristig, wieder in die Berge zu fahren, die geplante Tour also etwas zu verändern. Genauer gesagt, fahren wir in ein Tal, dass wir auf unserer Tour letztes Jahr kurz gestreift hatten: das Diemtigtal. So packen wir alles ein und fahren gemeinsam (das 1. Mal seit 10 Tagen*) im WoMo dorthin.
Auf 1200m Höhe angekommen, ist es zwar auch nicht viel kühler, aber wir haben eine gigantische Aussicht.
*die letzten 10 Tage war Jeannine tagsüber ja alleine zu Fuss oder mit dem Fahrrad unterwegs und ich alleine mit dem WoMo. Unsere Treffen waren erst jeweils am Nachmittag, auf den vorher geplanten Stell-/Campingplätzen.
Mit dem Platzwart haben wir vorher telefoniert (er war den ganzen Tag auf einer Beerdigung) und er hat uns ungefähr beschrieben, wo wir stehen könnten. Wir hoffen, dass wir auf dem richtigen Platz stehen und bei der Hitze nicht nochmal umziehen müssen, weil wir uns schon richtig installiert haben (Markise, Tische und Stühle aufgebaut) Abends kommt er dann vorbei: Alles OK!
Auch hier ist zu bemerken, dass die anwesenden Dauercamper total hilfsbereit sind und uns z.B. mit Duschmarken aushelfen (wir können ja keine kaufen, solange der Chef nicht da ist), den Weg zum Restaurant beschrieben und weitere Tipps geben.
Während des gesamten bisherigen Aufenthalts im Berner Oberland haben wir überall sehr nette, hilfsbereite und freundliche Menschen getroffen. Von den Dauercampern über die Bedienungen im Service, die Platzwarte bis zu den Busfahrern. So viel Freundlichkeit sei hier einfach mal erwähnt!!
Jeannine macht am Nachmittag eine Wanderung, und ich tastete mich an mein neues eBike heran.
Da wir für zwei Nächte gebucht haben, können wir es uns richtig gemütlich machen. Ab 20:00 sinkt die Temperatur auf erträgliche ca. 24 Grad.
Sonntag, 19.6.
Claus: Gestern Abend haben wir eine weitere Änderung unserer Routenplanung besprochen: Wenn möglich, werden wir hier um eine Nacht verlängern und erst am Dienstag weiterfahren. Jeannine hat noch drei Etappen bis Genf geplant. Alle mit dem Fahrrad, was bei der Hitze und den zu erwartenden Asphalt-Strecken wesentlich angenehmer ist. Ich werde auf einen Campingplatz in Lausanne fahren und dort drei Tage bleiben. Jeannine wird (nach ihren Etappen) jeweils mit dem Zug wieder hinkommen und am nächsten Tag mit dem Zug wieder zum Ausgangspunkt fahren.
Dies hat den Vorteil, dass ich nicht den ganzen Tag in der Hitze auf einem Stellplatz ohne Infrastruktur auf sie warten muss, sondern mich auf dem Campingplatz häuslich einrichten kann, wir die Akkus unserer eBikes wieder aufladen, die Duschen und das Restaurant nutzen können.
Danach fahren wir nach Frankreich, wo wir ja verabredet sind. Dort haben wir dann auch 1-2 Tage mehr als geplant.
Jeannine: Für heute ist die große Hitze angekündigt, die Mitteleuropa im Griff hat. Eigentlich kein Wetter zum Wandern. Aber es gibt einen Weg vom Fuß des Diemtigtals in Oey ans Ende, wo wir mit dem Wohnmobil stehen. Das Tal hoch, immer dem Fluß entlang und meistens im Schatten. Für diese Tour fahre ich mit dem Postbus bis nach Oey und wandere wieder hinauf. Selbst in dieses entlegene Bergdorf fährt täglich alle zwei Stunden ein Bus – hin und zurück. Pünktlich. Und immer mit netten, überaus hilfsbereiten Busfahrern. Normalerweise buche ich über die App der Schweizer Bahn, was ca. 1 Minute dauert. Diesmal brauche ich wegen der Gästekarte nicht mal etwas zu bezahlen. Der Schweizer ÖV (Öffentlicher Verkehr) ist einfach spitze.
Tatsächlich sind ca. 70% des Wegs im Schatten und traumhaft schön zu laufen. Bei den restlichen 30% schleiche ich jeweils zum nächsten Baum. Es ist wirklich sehr heiß. Aber der Weg hat sich gelohnt!
Montag, 20.6.
Claus: Nachdem wir ja einen Tag auf dem CP verlängert haben, bleiben wir also noch auf diesem Platz mit wunderschönem Blick, umringt von hohen Bergen.
Mittlerweile sind wir übrigens fast alleine auf dem ganzen Campingplatz (sehe nur ein holländisches Pärchen mit einem Wohnwagen). Wie mir der Platzwart eben sagte, ist dies normal, da viele Camper (auch die Dauercamper) nur am Wochenende hier sind und Sonntagabend bzw. Montagmorgen wieder abreisen.
So hört man hier, ausser den Glocken der Ziegen, nichts. Wunderbar.
Jeannine ist zu einer Wanderung gestartet. Das Wetter ist allerdings etwas “komisch“. Wir hoffen, dass es nicht plötzlich umschlägt. Dies war gestern der Fall: Obwohl alle Wetter-Apps Windstille voraussagten, fing es gegen 21:00 an stark zu winden und zu regnen.
Eine Face-time-Sitzung mit Freunden mussten wir abbrechen, weil sie vor lauter Regengeprassel auf unsere Markise nichts mehr verstehen konnten.
Jeannine: Ich mache heute eine Rundwanderung das Tal hoch, sozusagen bis zum Ende. Der Weg geht von der Höhe unseres Campingplatzes auf 1200 m hoch bis auf 1840 m zum sogenannten Grimmi. Die Tour ist ein Traum! Es geht über Almen, durch verwunschene Bergwälder und über blühende Bergwiesen, immer mit Blick auf eine spektakuläre Bergkulisse.
Ich entdecke Alpenrosen und einen einzigen blauen Enzian. Das kann eigentlich gar nicht sein, nur so ein einzelnes Exemplar, aber ich hab den Beweis.
Damit bin ich übrigens in den beiden Tagen das komplette Diemtigtal vom Fuß bis ans Ende hochgelaufen. Bin ganz stolz!
Dienstag, 21.6.
Claus: Heute verlassen wir das schöne Tal und fahren gemeinsam im WoMo ungefähr zum letzten Ausgangspunkt. Ab dort will Jeannine die Strecke mit dem Fahrrad fahren. Wir sind auf einem CP in Lausanne verabredet, den wir sicherheitshalber vorher gebucht haben.
Obwohl die Strecke (mit dem Auto) nur ca. 140 KM lang ist, rechnet das Navi mit einer Fahrzeit von fast 3 Stunden. allerdings habe ich auch “Autobahnen vermeiden“ eingegeben, da ich die Landschaft geniessen möchte.
Ich bin gegen 14:00 auf dem CP und installiere alles. Jeannine wird noch eine ganze Weile bis hierher brauchen. Der Platz bietet zwar keinen Schatten, aber wir sind nur 20m vom Restaurant und 50m vom Genfersee entfernt! An die Schweiz erinnert hier nicht mehr viel (ausser den Preisen im Restaurant), alles ist etwas unordentlich, runtergekommen und veraltet. Die Empfangsdame (Chefin?) ist sehr freundlich und spricht, im Gegensatz zum Servicepersonal, auch Deutsch mit mir.
Da es den ganzen Tag über drückend heiss ist und Jeannine ziemlich fertig von ihrer Etappe heute, wollen wir keine weiteren Ausflüge mehr machen und gehen in das gegenüberliegende Restaurant. Nicht sonderlich lecker, dafür aber teuer.
Wir sitzen dann noch sehr lange vor dem WoMo, da es auch um 23:00 noch drückend heiss und schwül ist. An Schlafen ist noch nicht zu denken.
Jeannine: Wir frühstücken, packen zusammen und verabschieden uns von Campingbetreiber Edi und vom wunderbaren Diemtigtal, das wir sicher nicht das letzte Mal besucht haben. Claus bringt mich zum Ausgangspunkt meiner heutigen Tour im Örtchen Schwarzenburg im Naturpark Gantrisch. Die Schweiz hat ja 20 Naturpärke (Schweizer Plural), und auch das Diemtigtal ist einer davon.
Jedenfalls ist es 12 Uhr, als ich starte, weil wir noch kurz bei einem Volg („frisch und fründlich“) einkaufen, um die gähnende Leere in unserem Kühlschrank zu füllen, und weil uns das Navi einen Umweg fahren lässt. 12 Uhr ist ein bisschen spät für die heutige Hitze. Als ich nach 1 1/2 Stunden in Fribourg ankomme, bin ich schon etwas geschafft.
Fribourg, übrigens auch eine Zähringerstadt wie ihre Namensschwester im Breisgau, liegt auf einem Felssporn, der von drei Seiten vom Fluss Saane umgeben ist, der sich tief in das Gestein eingegraben hat. Das ergibt einen natürlichen Graben, über den mehrere Brücken führen und der eindrucksvolle Blicke auf die Altstadt erlaubt. Wehrtürme auf der anderen Seite des Flusses bezeugen, dass der Graben im Mittelalter für die Verteidigung der Stadt genutzt wurde. Die eng erbaute Altstadt (übrigens die größte der Schweiz) wird dominiert von der gotischen Kathedrale St. Nicolas, die für ihre schönen Jugendstilfenster bekannt ist.
Die Weiterfahrt nach Fribourg wird ehrlich gesagt gräßlich. Es ist so heiß, dass ich das Gefühl habe, mein Kopf überhitzt unter dem Helm. Kein Schatten nirgendwo. Der Fahrradweg führt durch Dörfer und zwischen Feldern, aus denen die Hitze fast sichtbar aufsteigt. Unterwegs überhole ich einen Jakobspilger (Muschel am Rucksack), der mit hochrotem Kopf auf der gleichen Straße läuft wie ich. Gesund sieht das nicht aus.
Kurz hinter Fribourg verliere ich den Handyempfang und weiß fast 20 km lang nicht, ob ich richtig bin. Selbst schuld: Bei meinen Berg-Touren habe ich mir immer die Karten heruntergeladen, heute nicht. Irgendwann entdecke ich dann doch die Abzweigung, auf die ich gewartet hatte und weiß, dass ich richtig bin. Kurz darauf gibt’s auch wieder Empfang. Aber bis Lausanne schaffe ich das heute nicht mehr! Ich nicht und mein Akku auch nicht.
In Romont steige ich in den wunderbar klimatisierten Zug und bin in einer halben Stunde in Lausanne. Vom Bahnhof ist es nur eine Viertelstunde bis zum Campingplatz, wo mich Claus am Empfang erwartet. Der Campingplatz ist nicht sonderlich gepflegt, liegt aber direkt am See und hat auch ein bisschen Schatten. Aber es ist so heiß und schwül, dass man sich möglichst nicht mehr bewegen mag. Wir gehen im Campingrestaurant am See essen (schlecht, aber teuer) und genießen das kleine Lüftchen, das hier weht. Bei klarerer Sicht (heute ist alles grau in grau) könnte man sicher die Berge auf der gegenüberliegenden Seeseite sehen.
Mittwoch, 22.6.
Jeannine: Echte Jakobspilger lassen sich von nichts abhalten, nicht von entzündeten Füßen, nicht von Hitze und nicht von Asphaltstraßen, denen sie kilometerweit folgen. Offensichtlich bin ich keine echte Jakobspilgerin (das Pilgern war ja sowieso nicht mein Fokus), bzw. vielleicht ist der Jakobsweg nicht mein Weg. Viel toller waren die Touren der vergangenen Tage im Diemtigtal, und davon gibt es in den Alpen ja reichlich. Also: Hiermit endet mein Jakobsweg, zumindest vorläufig. Ich werde mir neue Wege suchen.
Damit sind Claus und ich frei in der weiteren Planung unserer Tour.
Claus: Beim Frühstück entscheiden wir, einen Tag früher zu unserem Lieblingscampingplatz in den französischen Vogesen zu fahren (wo wir am Sonntag unsere Freunde treffen).
Heute wollen wir noch mit dem Fahrrad nach Lausanne in die Innen- und Altstadt. Dies auch, damit Jeannine sich sehr, sehr bequeme Schuhe kaufen kann…(sie wird sicher noch berichten). In die Stadt zu kommen ist nicht sooo einfach, da alles für ein Kinder-Fahrradrennen abgesperrt ist. Die Polizei motzt uns an und eigentlich dürfen wir weder vor noch zurück. Aber mit unseren eBikes sind wir schnell…weg.
Zurück aus der Stadt (heiß, laut, stickig, stressig), entscheide ich, auf dem Campingplatz zu bleiben. Immerhin haben wir uns Lausanne 4 Stunden lang angetan. Jeannine will aber nochmals in die Stadt fahren und ein Museum besuchen.
Während ich hier schreibe, gibt es ein Gewitter und Regen (ein ca. 15 minütiger Schauer) – und die Temperatur geht, zum Glück, etwas runter.
P.S.: Ein grosser Vorteil dieser Ferien ist, dass wir sehr wenig Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Ein sehr grosser Vorteil, wie ich heute an den Tankstellen in Lausanne feststellen konnte: Der Liter Diesel kostet hier CHF 2.45.- (=EURO 2.41.-). Irgendwann müssen wir natürlich auch mal wieder tanken, aber ab morgen sind wir ja in Frankreich und dort ist es “normalerweise“ wesentlich günstiger (dafür ist der Tabak wesentlich teurer – muss also noch in der Schweiz Nachschub besorgen).
P.P.S.: Um die Grössen der Seen einschätzen zu können, hier die grössten Badeseen Europas (wird sind am Genfer See.):
- Balaton (Plattensee) Fläche 596 km²
- Genfer See – Lac Léman. Fläche 580 km²
- Bodensee. Fläche 536 km²
- Gardasee – Lago di Garda. Fläche 369,98 km²
- Neusiedler See. Fläche 320 km²
- Comer See – Lago di Como. Fläche 146 km²
- Müritz. Fläche 112 km²
- Zürichsee. Fläche 88,17 km²
So, hier noch die ungefähre Route, die Jeannine zu Fuss und mit dem Velo und ich mit dem WoMo zurückgelegt haben:
Jeannine: Nach unserem gemeinsamen Ausflug in die Altstadt von Lausanne (auf der – vergeblichen – Suche nach Flipflops für meinen entzündeten Hallux) fahre ich nochmal los. Direkt neben dem Bahnhof entsteht ein neues Museumsquartier – Platform 10. Bereits fertiggestellt ist das MBCA (Musée cantonal des Beaux Arts, also das kantonale Kunstmuseum), das in einem beeindruckenden Neubau des Architektenduos Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga untergebracht ist. Kurz vor der Fertigstellung sind ein kantonales Designmuseum (Musacchio) und ein Fotografiemuseum. Das Kunstmuseum hat eine interessante Sammlung mit Schwerpunkt auf Schweizer Künstlern.
Eine aktuelle Ausstellung widmet sich dem Thema „Train Zug Treno Tren“ – also der Beschäftigung mit Eisenbahn, Gleisen und Bahnhöfen. Die anfangs unerhörte Geschwindigkeit hat Künstler vor allem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu neuen Ausdrucks- und Stilformen inspiriert.
Donnerstag, 23.6.
Claus: Heute also eine “lange“ Fahrt, nämlich von Lausanne (Schweiz) nach Herpelmont in den Vogesen (Frankreich). Insgesamt 260 KM – so weit sind wir die letzten Tage nie unterwegs gewesen! Dafür brauchen wir 5,5 Stunden, weil wir Landstraße und nicht Autobahn fahren, weil wir tanken (1 Liter für EUR 2.09), weil wir eine ausgiebige Mittagspause machen und weil wir noch Lebensmittel einkaufen und die Vorräte auffüllen.
Da der Platz, den wir ab Sonntag gebucht haben, noch besetzt ist, wählen wir einen Standort am Wald, auf dem wir früher schon waren. Dort ist es sehr ruhig und schattig. Allerdings etwas abgelegen – zur Müllentsorgung oder zum Croissants Holen nimmt man also besser das Fahrrad.
Das Gefühl von wir sind “Daheim“ kommt hier sofort auf. Auch wenn sich verschiedene Dinge geändert haben: So ist das Restaurant nur noch einige Tage in der Woche und wenige Stunden pro Tag geöffnet (Personalmangel), man hat einige Stellplätze verändert (es gibt nun “Luxus“- und Komfort-Plätze), es wurden 50 Bäume an dem Bach gefällt, um mehr Sonne durchzulassen, und Brot bestellt man nun per App. Alles konzeptionelle Änderungen wegen der Einbußen und dem extremen Personalmangel durch Corona. Neuerdings kann man nun allerdings auch auf dem Platz Fahrräder mieten. Die Stand-up-paddels und Kanus gibt es weiterhin.
Wir machen es uns bequem und richten uns ein. Da das Restaurant geschlossen hat, kocht Jeannine sehr lecker und wir trinken einen der ersten Roséweine, den wir vorhin gekauft haben (für EUR 2,30.- die Flasche!).
Wie vorhergesagt, fängt es abends an ordentlich zu regnen.
Freitag, 24.6.
Es gibt ein internationales Frühstück:
Und eine kleine Besucherin, die mit den Mandeln des Croissants kämpft:
Jeannine war schon sehr fleissig und hat Wäsche gewaschen. Wir hoffen sie trocknet, bevor es gleich wieder regnen soll…
Jeannine: Ich mache einen kleinen Ausflug mit dem Rad nach Gerardmer. Jetzt sind wir sicher schon zum 5. Mal hier in der Gegend, und ich habe jedes Jahr Touren zu Fuß oder mit dem Mountain Bike gemacht. Aber das heute ist was ganz anderes! Dank der Sport-Touren-App Komoot und dank meines neuen E-Bikes entdecke ich einen zauberhaften Weg, der mich auf unbefahrenen Nebensträßchen durch den Wald nach Gerardmer führt. Hin und zurück sind das 44 km und 800 Höhenmeter, was ich mit dem normalen Rad nie gemacht hätte. Wenn die Wolken nicht so grau und trüb gewesen wären, hätte ich den Blick auf Gerardmer und den gleichnamigen See noch mehr genossen.
Ich werde kaum nass – dafür geht der Regen so richtig los, sobald ich wieder am Wohnmobil bin.
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