Donnerstag (Himmelfahrt) 18.5.2023
Wir ändern mal wieder kurzfristig unsere Reiseroute. Für die Cevennen, wo wir eigentlich hinfahren wollten, ist die Wetterprognose für die nächste Zeit nicht so prickelnd. Regen hatten wir zuhause genug, jetzt wollen wir in die Sonne fahren. Paradoxerweise ist die Vorhersage für den Norden Frankreichs besser als für den Süden, also richten wir uns danach aus.
Wir fahren die nun schon altbekannte Route über Freiburg, Belfort, Besançon und peilen einen Campingplatz in Dole an, auf dem wir vor einigen Jahren schon mal waren. Die Fahrt ist unspektakulär und glücklicherweise stau- und regenfrei. Viel Verkehr ist natürlich trotzdem, aber zumindest keine LKWs.
Dole ist ein hübsches mittelalterliches Städtchen im Burgund und liegt an einer Schleife des Flusses Doubs. Der Campingplatz ist sehr idyllisch in einem Dreieck zwischen dem Fluss und dem Rhein-Rhone-Kanal gelegen, aber leider belegt. Reserviert hatten wir nicht, müssen also wieder umdrehen. Jetzt sind wir froh über unser Wohnmobil. Im Gegensatz zum Wohnwagen können wir damit auch auf dem Stellplatz im Ort übernachten, der zwar weniger beschaulich ist, aber dafür näher an der Stadt liegt. Wir haben einen Panoramablick auf die Altstadt mit Kathedrale.
In 5 Minuten ist man in der Altstadt. Es gibt eine Passage unterhalb mehrerer Häuser, die vom Kanal zu einer Gasse weiter oben führt. Im Städtchen wartet eine Blasmusikgruppe mit schwungvollem und etwas schrägen Sound direkt vor der Kathedrale auf. In der Kirche das Kontrastprogramm: eine klassische Solosängerin, begleitet von der Orgel.
Wir entscheiden uns für Resteessen im Wohnmobil und liegen um 22:30 Uhr im Bett.
Freitag, 19.5.
Nach einem weiteren Spaziergang durch Dole, inklusive Kaffee und dem erfolgreichen Kauf einer SIM-Karte für unseren neuen Router, peilen wir Beaune an, das im Zentrum des Weinanbaugebiets Côte d‘Or im Burgund liegt. Leider sind wir nicht die einzigen, die das Städtchen an diesem Feiertagswochenende besichtigen wollen. Wir probieren es auf zwei Campingplätzen und einem Stellplatz, aber alles ist bereits voll. Wir fahren weiter nach Westen und landen in einem Dorf namens Nolay, wo wir mehr Glück haben. Der Campingplatz ist sehr naturbelassen und offensichtlich ein Geheimtipp für Zelt-Camper. Oder es liegt wiederum am Feiertagswochenende, dass so viele Gruppen und Familien hier übernachten.
Nolay ist ein winziges Weinbaudorf. Im Zentrum die typische romanische Kirche, und daneben eine riesige offene Markthalle. Eigentlich ist es eher ein aufgeständertes Dach mit beeindruckender Holzkonstruktion. Das Markt-Dach stammt original aus dem 14. Jahrhundert und hat die Zeitläufte erstaunlich gut überstanden.
Wir entscheiden uns für Pizza vom Campingrestaurant. Alle Gäste sitzen draußen, und wir scheinen die einzigen zu sein, die frieren. Neben uns sitzen Camper in Flip-Flops, während wir bedauern, dass wie die Daunenjacke nicht eingepackt haben. Die Pizza bestellen wir dann kurzerhand zum Mitnehmen. Im Wohnmobil ist es definitiv gemütlicher.
Samstag, 20.5.
Wir fahren auf Landstraßen durch das Burgund und sind begeistert. Die Anbaugebiete sind eher kleinteilig, die hügelige Landschaft abwechslungsreich, die Dörfer mittelalterlich, die Häuser blumengeschmückt. Über mehrere Kilometer führt die Landstraße neben dem Canal du Centre, der die Saône mit der Seine verbindet. Eine Schleuse folgt dicht auf die nächste, und die Fahrt auf dem Kanal ist definitiv nichts für Hektiker. Zusammen mit einer Radlergruppe beobachten wir, wie ein Flussschiff langsam in einer Schleuse abgesenkt wird und danach wie befreit unter der Brücke hindurchfährt.
Wir machen einen Abstecher nach Paray-le-Monial, wo es eine sehr schöne romanische Kirche gibt. Sie ist ein Ableger von Cluny und eine Version der dortigen Kirche im Kleinformat. Beide Kirchen wurden im 13. Jahrhundert während der großen Pilgerwelle nach Santiago de Compostela als Wallfahrtskirchen erweitert.
Die Basilika von Paray-le-Monial sieht von außen eher gedrungen aus. Im Inneren jedoch besticht der schnörkellose Kirchenraum durch seine Klarheit. Viel Licht fällt auf den gelblichen Sandstein der Mauern und auf das wunderbare Fresko im Deckengewölbe des Altarraums.
Hinter der Basilika liegt ein Park mit weiteren Kapellen, der den Pilgern zur Verfügung steht, die zum Sacré Coeur ziehen. Als wir ankommen, haben sich zahlreiche Pilger im Park zu Gebets- und Gesprächskreisen versammelt. Etwa eine Stunde später ist niemand mehr zu sehen.
Wir übernachten auf einem Stellplatz in einem Dorf namens Gouzon. Der liegt auf einem weitläufigen Platz am Rande des Dorfes und ist nicht nur gut ausgestattet, sondern richtiggehend gemütlich mit vielen Bäumen und einem kleinen Park.
Sonntag, 21.5.
Von den rund 260 Kilometern, die wir heute in Richtung Nantes fahren, sind gefühlt 200 Kilometer schnurgerade Straßen, die ohne Kurven die Hügel hinauf- und wieder hinabführen. Unterbrochen werden sie nur durch die allgegenwärtigen Kreisel. Wir fahren meistens auf Nationalstraßen, auf denen heute lebhafter Verkehr herrscht.
Nach der etwa 50. „Ente“, die wir sehen (Citroën 2CV), googeln wir mal. Und tatsächlich: Im bretonischen Plouay hat ein nationales 2CV-Treffen stattgefunden. Von dort kommen sie alle her, die Enten.
Wir machen eine kurze Rast auf einem Parkplatz und sind wieder angetan davon, wie gut die Infrastruktur auf französischen Straßen ist. In regelmäßigen Abständen gibt es Parkbuchten. Etwas weiter voneinander entfernt sind Rastplätze eingerichtet, wie der, auf dem wir halten. Sie haben nicht nur genügend Parkplätze, sondern Picknicktische, Toiletten, Müllentsorgung für alle und Abwasserentsorgung für Camper. Manchmal gibt es -wie hier – eine Bude, in der man Getränke und Snacks kaufen kann. Aber die Franzosen sind vor allem auf Picknicks eingerichtet, sie haben Tischdecken und Picknickkörbe dabei und machen die Rast zum kulinarischen Event.
Nach den letzten Tagen brauchen wir mal eine Autopause. Wir finden einen Campingplatz zwischen Poitiers und Nantes an einem kleinen Flüsschen. Der Platz übertrifft die positiven Beschreibungen im Internet um ein Vielfaches. Außerdem sind wir fast die einzigen Gäste. Wir stehen mehr oder weniger allein in einem Park unter alten Bäumen an einem Flüsschen. Außer Vogelgezwitscher hören wir nichts. Jetzt müssen wir nur noch entscheiden, ob wir morgen lieber radfahren oder wandern wollen.
Montag, 22.5.
Wir genießen den Platz, von dem Claus meint, er höre sich an wie in einer Volière. Das Vogelgezwitscher ist unbeschreiblich. Dass wir in der Natur gelandet sind, zeigt sich spätestens angesichts eines riesigen Vogelschisses, der auf meinem weißen Handtuch landet. Dass Vögel so etwas Großes überhaupt produzieren können!
Es gibt hier viele gut ausgeschilderte Radwege, von denen einer dem Flüsschen entlang führt. Das ist bewusst naturbelassen – oder renaturiert worden – und ist ein echtes Biotop. Sogar Biber lässt man hier walten.
Abgesehen von dem Biotop-Flüsschen ist hier allerdings nichts Besonderes zu entdecken. Die Dörfer sind so wie französische Dörfer sind: Eine Kirche im Zentrum, eine „Mairie“ (Rathaus) mit dreifach gesteckten französischen Fähnchen, gelegentlich kombiniert mit einem Postamt. Eine Bäckerei, manchmal ein Metzger, selten eine Kneipe und häufig viel Leerstand. In der Ortsmitte eng gebaute alte Häuser, weiter außerhalb Neubausiedlungen mit „aufgeräumten“ Gärten ohne jeden Charme und praktisch ohne Baumbestand. Am Rande größerer Orte pulsiert dann das Leben mit Supermarkt, Tankstelle und Gewerbe.
Dienstag, 23.5.
Heute erreichen wir endlich die Bretagne. Unser erstes Ziel ist der sagenumwobene Wald Brocéliande, in dem König Artus und seine Ritter nach dem goldenen Gral gesucht haben sollen. Der Zauberer Merlin baute hier für seine Geliebte Viviane ein unterirdisches Schloss ais Kristall, so heußt es. Sagen und Mythen sind allgegenwärtig in der Bretagne.
Der verwunschene Zauberwald ist heute ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer, Naturliebhaber und Schulklassen. Die Stell- und Campingplätze in Paimpont in der Mitte des Waldes gefallen uns aber nicht, weshalb wir weiterfahren. Wir landen auf einem Campingplatz an einem Badesee namens Lac du Duc bei Ploërmel. Obwohl der See winzig ist, bietet ein Wassersportzentrum direkt vor dem Campingplatz alle Möglichkeiten: Vom Tretboot bis zum Surfbrett wird hier alles vermietet, was schwimmt. Die Gegend ist auch ein Fahrrad-Paradies. Neben den wenig befahrenen Landsträsschen führt hier auch eine Voie Verte durch, ein Radwanderweg, der alte Bahntrassen nutzt.
Ploërmel ist ein wenig touristisches kleines Städtchen mit erstaunlich gut sortierten Geschäften. An der Hauptkirche St.-Armel beeindruckt vor allem das reich gestaltete Nordportal.
Mittwoch, 24.5.
In Ploërmel erstehen wir ein super leckeres Baguette und verputzen ein belegtes Sandwich direkt vor der Bäckerei. Da Claus keinen Rucksack für den Baguette-Transport dabei hat, wird erfolgreich improvisiert.
Die Radtour führt weiter auf der Voie verte und entlang des Kanals Nantes-Brest zu dem kleinen Ort Josselin. Der Nantes-Brest-Kanal wurde übrigens ursprünglich von Napoleon in Auftrag gegeben und war im 19. Jahrhundert eine wichtige Route für den Lasttransport. Heute hat der 364 km lange Kanal mit seinen 264 Schleusen nur noch touristische Bedeutung. Die alten Schleusenhäuser wurden renoviert und dienen als Gasthäuser für die Freizeitschipper und die Radfahrer, die den Kanal entlang fahren. Der Kanal ist ein Naturparadies. Kühe und Schafe weiden bis an seine Ufer, alte Bäume lassen ihre Äste ins Wasser hängen, Seerosen treiben träge im Wasser, und die Zeit scheint stehengeblieben zu sein.
Josselin gehört zu den „petite cités de charactère“, zu den Kleinstädten mit Charakter, eine Auszeichnung, die Ende der 70er Jahre in der Bretagne erfunden wurde. Hoch über dem Städtchen thront ein Schloss aus der frühen Renaissance, das seit rund 800 Jahren im Besitz derselben Familie ist. Im Stadtzentrum gruppieren sich liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser in bunten Farben um die Kathedrale.
Donnerstag, 25.5.
Nachdem wir unsere Infrastruktur in Schuss gebracht haben (Grauwasser raus, Frischwasser rein, tanken, einkaufen), machen wir einen Abstecher zu den Hinkelsteinen bei Carnac. Vor 7000 Jahren wurden hier auf einem Gebiet von 4 km Länge insgesamt 3000 sogenannte Menhire errichtet, also Felsblöcke senkrecht aufgestellt. In langen Reihen, wie eine zu Stein gewordene Armee. Warum genau unsere prähistorischen Vorfahren diese Mühsal auf sich genommen haben, ist bis heute ungeklärt.
Von Carnac aus, das geschützt am Golf von Morbihan liegt, ist es ein Katzensprung zu unserem nächsten Ziel, der Halbinsel Quiberon. Es gibt eine einzige Zufahrtstraße, die über einen Damm führt. Auf der Straße ist schon mal viel los, Vorbote für das lange Pfingstwochenende. Quiberon hat eine geschützte Seite, die dem Golf von Morbihan zugewandt ist, und eine wilde Küste (côte sauvage) Richtung Atlantik. Die Campingplätze liegen sinnvollerweise alle auf der „sanften“ Seite, so auch unserer. Anders als in den Tagen zuvor scheint heute die Sonne, am Himmel keine einzige Wolke. Obwohl ein kräftiger Wind weht, haben wir auf einen Schlag das Gefühl von Sommer, Sonne, Meer. Wir drehen eine Runde mit dem Rad zum Hauptort Quiberon, und ich erstehe ein bretonisches Ringelshirt. Der Sommer kann beginnen.
Freitag, 26.5.
Wäsche waschen ist angesagt, und wir meistern die Herausforderung, zwei Maschinen auf unsere Wäscheleinen zu bekommen, für die es hier zu wenig Bäume gibt. Die Leine hängt bis fast auf den Boden durch, aber es ist ja alles im Nu trocken. Bei jeder Mahlzeit werden wir von einem Rotkehlchen besucht.
Nochmal eine kleine Radtour, und abends werfen wir zum ersten Mal unseren Grill an.
Samstag, 27.5.
Wir drehen eine Runde mit den Rädern um die ganze Insel und schauen uns die wilde Seite der Küste an. Es ist heute praktisch windstill. und wir können einen Kaffee trinken, ohne den Keks festhalten zu müssen. Auf dem Meer tummeln sich Segelboote, Taucher erkunden die Felsen, und Biker tuckern über die Sträßchen. In kleinen Buchten quietschen Kinder im Wasser.
Sonntag bis Montag, 28.-29.5.
Wir bleiben kurzentschlossen das ganze Pfingstwochenende auf Quiberon, radlen mehrfach um die Halbinsel, bewundern die schönen Häuser in den Dörfern und die sandigen Buchten zwischen den Felsen.
An der Côte Sauvage gibt es ein natürliches Felsentor, das man zu Fuß entdecken kann.
Was man auf den Fotos nicht zeigen kann, sind die Düfte! Man riecht Pinien, Ginster und Rosen, und man wird geradezu überwältigt von den Duftwolken des Jasmins, der hier zur Zeit blüht.
Dienstag. 30.5.
Wir folgen einem Tipp unseres Campingnachbarn und fahren nach Guilvinec, einem der größten Fischereihäfen der Bretagne. Wir finden einen netten Camping Municipal (das sind einfache Campingplätze, die der jeweiligen Gemeinde gehören) und fahren mit den Rädern am Strand entlang ins Städtchen.
Direkt am Hafenkai liegt eine riesige Halle, und Besucher können den ganzen Ablauf von der Ankunft der Kutter bis zum Abtransport der Fische im Rahmen einer Führung mitverfolgen.
Guilvinec ist bezogen auf die umgeschlagene Tonnage der viertgrößte Fischereihafen Frankreichs, umsatzmäßig sogar der zweitgrößte. Die Kutter, die wir beobachten, waren auf Tagestour, das heißt, sie sind morgens um 3 oder 4 Uhr gestartet und kommen zwischen 16 und 17 Uhr zurück. Unsere Führerin erklärt, dass es auch größere Kutter gibt, die 8 bis 14 Tage lang unterwegs sind und in der irischen See und vor England fischen. Gefischt wird mit Schleppnetzen.
Wir kommen rechtzeitig, um die Einfahrt der Kutter in den Hafen beobachten zu können. Sie legen an jeweils festgelegten Plätzen am Kai an. Jeder Kutter hat einen eigenen Kran an Bord und hebt die Fischkisten auf den Kai, wo sie von den Hafenarbeitern in die Halle gefahren werden. Das ganze Procedere geht im Minutentakt. Ist ein Kutter entladen, legt er sofort vom Kai ab und macht Platz für den nächsten.
Beim Zuschauen sind wir nicht ganz alleine…
Unsere Führerin bringt uns in die Auktionshalle, in der Kühlschranktemperatur herrscht. Während es draußen richtig warm war, sind wir jetzt sehr froh über unsere Jacken. Die Auktion, auf Französisch „Criée“ (von Schreien), war früher so, wie man sich das vorstellt. Der Auktionator rief in rasendem Tempo die Angebote aus, die von den Bietern laut rufend angenommen wurden. Ich selbst habe das vor Jahren mal in einem anderen bretonischen Hafen miterlebt. Inzwischen hat sich das grundlegend geändert. Der Auktionator sitzt an einem Computerterminal, und alles läuft übers Internet. Immerhin kann man auf einer Anzeigentafel verfolgen, was gerade angeboten und zu welchem Preis verkauft wird.
In den Kisten liegen Fische und Krustentiere, fein säuberlich nach Art, Größe und Zustand sortiert. Schöne, große Exemplare gehen in die Gastronomie und in den Handel, kleinere oder verletzte Tiere in die Fischfabriken. Wir sehen eine unglaubliche Fülle verschiedener Fischarten, nicht alle sind hübsch. Besonders beeindruckend sind die Seeteufel, von denen übrigens nur die Schwänze gegessen werden. Der Kopf, der etwa die Hälfte des Fisches ausmacht, besteht praktisch nur aus Knorpel und wird zu Fischmehl verarbeitet.
Nach der Auktion fahren die Kisten auf Förderbändern zu einer Station, wo sie automatisch mit einer genau dosierten Menge Eis bedeckt werden. Die Förderbänder laufen weiter in den nächsten Teil der Halle, wo Roboter die Kisten kommissionieren. Die Kommissions-Kistenstapel werden von Hafenarbeitern auf Gabelstapler geladen und zu den Rampen gefahren. Allein den Gabelstaplerfahrern zuzusehen, ist ein Erlebnis. Sie haben ein ziemliches Tempo drauf, kurven umeinander herum und bewegen die Fischkisten trotzdem wie rohe Eier. Die LKWs, die die Fischfracht umgehend in den Rest des Landes liefern, können wir hinterher auf der Rückseite der Halle abfahren sehen.
Nach dieser Besichtigung haben wir richtig Hunger, Fischhunger, genauer gesagt. Aber es soll nicht sein. Wir versuchen es in fünf verschiedenen Restaurants, aber entweder sie haben geschlossen (egal welche Öffnungszeiten im Internet stehen) oder sie haben nichts mehr übrig, wie die Kneipe, in der wir ein Bier trinken und die nur Mittagstisch anbietet, oder sie öffnen erst viel später und lassen uns nicht vorher rein.
Zum Glück gibt es Spaghetti!
Mittwoch bis Donnerstag, 31.5. – 1.6.
Bisher waren wir an der Südküste der Bretagne unterwegs und wollen langsam an die Nord- bzw. Kanalküste. Auf dem Weg dorthin machen wir einen Zwischenstopp in dem Örtchen Châteaulin, das am Rande des Naturparks Armorique und am Kanal Nantes-Brest liegt, den wir ja bereits kennen. Bis hierhin führt auch der Kanalradweg, und entsprechend viele Fahrradtouristen sieht man auf dem Campingplatz. In Châteaulin gibt es am Donnerstag einen Markt, auf dem ich neben Gemüse auch ein frisch gegrilltes Hähnchen „fermier“ (vom Bauernhof) erstehe. Beim Essen denken wir an meinen Vater, für den ein „Güggele vom Schappeler“ ein kleines Festessen war.
Freitag bis Samstag, 2.6. – 3.6.
Unsere Fahrt zur Kanalküste führt uns durch den Naturpark Armorique. Der entpuppt sich auf weite Strecken allerdings als Mondlanschaft. Wie wir nachlesen, hat hier im vergangenen Sommer ein Flächenbrand über 1700 Hektar des Waldes und – schlimmer, wegen des CO2-Ausstosses – der Torfmoore zerstört.
Unser nächster Campingplatz liegt am westlichen Rand der berühmten rosa Granitküste und an einer Bucht, im Örtchen Trégastel. Als wir ankommen, denken wir auch erstmal an Mondlandschaft, aber hier ist es einfach die Ebbe. Die Kanalküste wird von den Gezeiten dominiert. Der Tidenhub ist hier so groß, dass es nicht eine, sondern zwei Landschaften gibt. Bei Ebbe kann man durch die ganze Bucht laufen, bei Flut tummeln sich die Fischerboote und die Surfer. An der Rezeption hängt eine aktuelle Gezeitentabelle mit den Zeiten für Ebbe und Flut sowie den Wasserständen. Die variieren von Tag zu Tag, und man kann sehen, dass der Tidenhub zwischen 4,5 und 7,5 Metern schwankt. Dass 7 m mehr oder weniger Wasserstand einen Unterschied machen, leuchtet ein.
(Claus:) Ich genieße im Camping-Restaurant ein typisch französisches Essen: „Fish & Chips“
Übrigens geht die Sonne hier um diese Jahreszeit erst gegen 22:30 unter. Die Abende sind lang und schön – aber momentan leider viel zu kalt, um draußen sitzen zu können.
Sonntag, 4.6.
Wir fahren der Kanalküste entlang weiter östlich bis Saint-Malo. Wir haben einen Campingplatz zwischen der berüchtigten Corsaren-Stadt und dem Austerndorf Cancale gefunden. Der Platz ist riesig und komplett belegt. Das erweist sich als Glücksfall. Wir landen statt dessen auf einem sympathischen familiengeführten Campingplatz, der direkt an ein Naturschutzgebiet grenzt. Mit dem Rad sind es 5 Minuten zum Meer und jeweils etwa 5 Kilometer nach Saint Malo und nach Cancale.
Cancale befindet sich am östlichen Rand einer großen Bucht, in der auch der berühmte Klosterberg Mont Saint Michel liegt. Den erkennt man sogar im Dunst – ebenso wie das gegenüberliegende Ufer der Bucht, das bereits zur Normandie gehört. In der Bucht ist der Tidenhub so hich wie nirgendwo sonst und liegt derzeit bei etwa 10 Metern. Die enromen Wassermassen, die hier viermal täglich ein- und ausströmen, werden für die Austernzucht genutzt. Vor Cancale liegen fußballfeldgroße Austernbänke, und frischer als hier kann man Austern nicht genießen. Wenn man sie denn mag. Wir diskutieren, ob wir sie probieren sollten, wenn wir schon mal hier sind, und entscheiden uns dagegen. Nichts gegen Fisch und Meerestiere, aber doch lieber tot und am besten gekocht. Viele Franzosen aber schlemmen die Austern direkt auf der Hafenmauer.
Montag, 5. Juni
Saint Malo erreicht man mit dem Rad in einer guten halben Stunde. Die Altstadt wird „Intra Muros“ genannt, und das ist sie auch: umschlossen von einer gigantischen, zwei Kilometer langen (Festungs)Mauer, auf der man komplett um die Stadt herumspazieren kann. Mit der Festungsanlage (erbaut von Frankreichs berühmtestem Festungsbauer Vauban) trotzten die stolzen Malouiner allen Angriffen. Gegen die Bombardements der Amerikaner im zweiten Weltkrieg nützten die meterdicken Mauern allerdings nichts. Die Amerikaner befreiten Saint Malo gegen erbitterten Widerstand von deutscher Besatzung und zerstörten dabei die Altstadt zu 85%. Nach dem Krieg wurde sie nach alten Plänen originalgetreu wiederaufgebaut.
Weil gerade Ebbe ist, kann man auf ein vorgelagertes Inselchen spazieren, auf der der Schriftsteller und Politiker Chateaubriand begraben werden wollte (und wurde). Ehrlich gesagt, kannten wir Chateaubriand eher vom gleichnamigen Rindersteak, aber tatsächlich begründete er die französische Romantik. Der Rundgang um die Stadt ist fast interessanter als der Gang durch das Städtchen, das seinen Reichtum vor allem im 16. Jahrhundert durch Handel (unter anderem Sklavenhandel) und Freibeuterei erlangte. Die „Corsaren“ aus Saint Malo besaßen einen Freibrief des Königs und überfielen in dessen Namen englische und holländische Handelsschiffe. Piraterie mit königlicher Erlaubnis also. Vor lauter Stolz rief Saint Malo im 16. Jahrhundert sogar kurz mal eine eigene Republik aus. Auch heute noch verstehen sich die Maloiner als etwas Besonderes: „Ni Français, ni Breton, Malouis suis“ (Ich bin kein Franzose, kein Bretone, sondern Malouiner). Die verwegene Vergangenheit der Corsaren hingegegen taugt heute vorwiegend noch zu Dekorationszwecken.
Camping kann auch Begegnungen mit interessanten Menschen ermöglichen. Auf dem Campingplatz in Trégastel waren wir im Restaurant mit Annette und Christian aus Nordfriesland ins Gespräch gekommen. Die beiden fahren das gleiche Wohnmobil wie wir, einen Tourne, was ja recht selten ist. Und wie es der Zufall will, sind wir hier wieder auf dem gleichen Campingplatz gelandet. Unabgesprochen. Als sie gerade von ihrer Tagestour zurückkommen, laden wir sie spontan ein, mit uns zu Abend zu essen. Wie gut, wenn man immer so viel kocht, dass es auch für den nächsten Tag noch reicht; oder für zwei Mitesser. Wegen der Temperaturen ist der Abend zwar nicht gerade lauschig, aber sehr nett und lustig. Die beiden betreiben eine kleine Kaffeerösterei und beglücken uns mit einer Packung vom eigenen Kaffee. Der übrigens wirklich lecker ist.
Mittwoch, 7. Juni
Heute verlassen wir die Bretagne wieder. Nach einem weiteren Abstecher am Hafen vom Austernstädtchen Cancale fahren wir zu den Landungsstränden in der Normandie.
Was wir erst beim Nachlesen realisieren ist, dass sich der Tag der Alliierten-Landung, der sogenannte D-Day am 6.Juni 1944 gestern zum 79. Mal gejährt hat. Der D-Day wird jedes Jahr feierlich begangen und begleitet von einer Vielzahl von Veranstaltungen, alles nachzulesen unter www.ddayfestival.com. Dafür reisen jedes Jahr viele Touristen an, neben Franzosen vor allem Amerikaner und Briten.
Wir finden einen Campingplatz direkt am Omaha Beach, einem der Landungsstrände. Auf dem Campingplatz sehen wir mehrere historische Armeefahrzeuge und Armeezelte. Dass die Stimmung uns hier etwas bedrückend vorkommt, liegt wohl vorwiegend am Wetter. Es ist diesig, fast schon neblig, das Licht ist diffus, und es weht ein kräftiger, kalter Wind vom Meer. Wir machen einen Spaziergang zum Strand und verziehen uns recht schnell ins Wohnmobil.
Donnerstag, 8. Juni
Wir besichtigen eines von mehreren Museen im der Gegend, das sich dem Thema der Alliierten-Landung und der Befreiung Frankreichs von deutscher Besatzung widmet. Das Museum ist zwar nicht gerade auf dem neusten Stand, was die Präsentation angeht, aber es zeigt mit einer Fülle historischer Exponate, wie die Franzosen unter der Besatzung lebten, wie die Alliierten die Landung planten, was bei der Ausführung schief ging, und wie sich dann der Kriegsverlauf änderte.
Richtiggehend beklemmend sind Fotos und Berichte von den Soldaten bei der Landung. Im besten Fall kamen sie seekrank und klatschnass am Strand an und überlebten den gegnerischen Beschuss. Viele jedoch ertranken, weil sie in zu tiefem Wasser ausgesetzt wurden und mit ihrer schweren Ausrüstung nicht schwimmen konnten. Oder sie warfen die Ausrüstung ab und erreichten den Strand ohne Waffe, Verpflegung, etc. Man kann gut nachvollziehen, dass Angehörige auch heute noch der Opfer gedenken, die hier gebracht wurden.
Einen noch tieferen Eindruck vom Ausmaß der Opfer bekommen wir beim Besuch des amerikanischen Soldatenfriedhofs von Omaha Beach. 10000 Soldaten sind hier bestattet, das ist ein Meer von weißen Kreuzen. Auf einigen stehen keine Namen. Wir sehen französische Schulklassen und viele Amerikaner. Von den D-Day-Feierlichkeiten liegen noch Kränze und Gestecke am Memorial, unter anderem auch eines vom deutschen Botschafter. Vor eineinhalb Jahren hätten wir noch gesagt, wie froh wir sind, dass so etwas zumindest im Europa nicht mehr vorkommt. Jetzt passiert das Gleiche wieder. Mitten in Europa.
Eigentlich wollten wir noch das Städtchen Bayeux besuchen, aber nach diesen Eindrücken ist uns nicht nach weiteren Besichtigungen zumute. Wir fahren weiter zur „Alabasterküste“, etwas nordöstlich von Le Havre. Zwischen Honfleur und Le Havre überqueren wir die Seinemündung auf der imposanten Normandiebrücke (Le Pont de Normandie). Die größte Schrägseilbrücke Europas hat eine Spannweite von 854 Metern und lässt eine Durchfahrtshöhe von 52 Metern (bei höchstem Wasserstand). Auf der Seite von Le Havre gibt es im Anschluss noch ein weiteres Viaduct, das sich wie eine Achterbahn über den Seine-Kanal windet.
Unser nächster Campingplatz liegt auf den Klippen beim Dörfchen Yport. Die Landschaft ist hier wie in Südengland. Sanfte Hügel brechen abrupt an den Klippen ab. Oben grün, unten weiß. Die Orte schmiegen sich in Flußtäler, die sich tief in die Klippen engeschnitten haben und in schönen Buchten enden. Von unserem Platz aus blicken wir aufs Meer und die Klippen. Trotz des Windes hält man es gut draußen aus.
Freitag-Samstag, 9.-10. Juni
Étretat ist ein Küstenstädtchen rund 10 Kilometer westlich von uns und verfügt über die spektakulärsten Felsen der Normandie. Östlich des Seebades liegt der Felsbogen Porte D’Aval, der manche an einen Elefantenrüssel erinnert, und direkt daneben eine Felsnadel; westlich wird die Bucht vor Étretat vom Felsbogen La Manneport begrenzt. Die Felsen der Alabasterküste bestehen aus Kreide und Feuerstein und sind recht porös. Von den Gesteinsbrocken, die sich von den Felsen gelöst haben, wird die Kreide herausgespült. Meerwasser und Brandung schleifen die übriggebliebenen Feuersteine zu runden Kieseln, aus dem die Strände bestehen. Das schlurfende Geräusch des Wassers am Strand ist sehr meditativ.
Die spektakuläre Aussicht auf den elefantösen Felsbogen von Aval hat viele Maler im 19. Jahrhundert inspiriert, allen voran Claude Monet, der die Felspforte von einem Aussichtspunkt gegenüber immer wieder gemalt hat. Eine berühmte französische Schauspielerin der Belle Époque, Madame Thébault, ließ sich von Monets Lieblingsplatz Anfang des 20. Jahrhunderts zur Anlage eines Gartens inspirieren.
Dieser Garten wurde 2015 vom Landschaftsarchitekten Alexandre Grivko neu gestaltet zu – ja zu was eigentlich? Der neue Park ist ein einziges Kunstwerk aus kunstvoll geschnittenen Pflanzen, die zusätzlich die Kulisse für mehrere Kunstobjekte bilden. Man wandelt durch eine Phantasiewelt, in Grün, sanft beschallt durch sphärische Klänge. Ob das Projekt nun neofuturistisch ist, wie behauptet wird, sei dahingestellt. Der Ort mit Monets Blick auf den Felsbogen ist jedenfalls in der Gegenwart angekommen.
Sonntag-Montag, 11.-12.Juni
Auf dem Weg Richtung Osten machen wir Halt in Amiens, der Hauptstadt der Picardie. Nach ein bisschen Hin und Her landen wir auf einem Campingplatz, der am Stadtrand in einem Parkgelände an der Somme liegt. Mit dem Rad kann man dem Fluß entlang bequem und unter Bäumen bis ins Zentrum fahren.
Die Kathedrale von Amiens ist schon von weitem sichtbar. Kein Wunder, sie ist auch die größte mittelalterliche Kathedrale Frankreichs, innen etwa doppelt so groß wie Nôtre Dame. Sie wurde in relativ kurzer Bauzeit zwischen 1220 und 1270 errichtet und ist deshalb stilistisch sehr homogen, ein Beispiel für die französische Hochgotik. Beeindruckend ist die Größe und Höhe des Mittelschiffes, das 145 Meter lang und 42 Meter hoch und wegen der großen Fenster im oberen Bereich lichtdurchflutet ist. Die Stützpfeiler wirken trotz ihrer Dimensionen geradezu filigran, weil sie als sogenannte Bündelpfeiler gestaltet sind.
Markant ist ein Fries an der Außenwand des Chorraumes, auf dem die Geschichte des Märtyrers Firmin, des Stadtheiligen von Amiens, dargestellt ist. Der Fries besteht aus acht Rahmen, in denen dreidimensionale Figuren die Geschichte szenisch darstellen. Die Figuren sind vollkommen realistisch dargestellt, mit individuellen Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen. Wie ein mittelalterlicher 3-D-Comic.
Amiens ist eine lebendige Stadt mit vielen Studenten. Radfahrer haben überall Vorrang und dürfen sogar in Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung fahren.
In einem Feuchtgebiet am Rande der Stadt wurden schon im Mittelalter künstliche „schwimmende“ Gärten für den Obst- und Gemüseanbau angelegt. Heute sind die sogenannten Hortillonages liebevoll gepflegte Kleingärten – und eine Touristenattraktion.
Dienstag, 13. Juni
Wir fahren durch Belgien an die niederländisch-deutsche Grenze, ganz in der Nähe von Mönchengladbach, wo wir morgen Dagmar und Herbert besuchen möchten, die wir in Tarifa kennengelernt haben. Eigentlich wollen wir einen Stopp in Maastricht machen, aber alle Camping- und Stellplätze sind belegt. Wir fahren deshalb weiter bis in die Nähe von Roermond, wo wir einen wunderbaren idyllischen kleinen Campingplatz bei einem Bauernhof finden.
Mittwoch bis Freitag, 14. – 16. Juni
Dagmar und Herbert bewirten uns nicht nur vorzüglich, sondern bemühen sich, uns die schönen Ecken des Niederrheins zu zeigen. Auf einer Radtour fahren wir durch wunderbare Wälder und entlang des Flüsschens Schwamm, an dessen naturbelassenen Ufern mehrere alte Mühlen stehen.
Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug nach Düsseldorf und bestaunen das architektonische Ensemble des Medienhafens. Von Helmut Jahn bis Frank Gehry haben weltweit bekannte Architekten markante Hotels, Büro- und Wohngebäude geplant.
Auffällig ist, wie gut dieses ja eigentlich künstlich angelegte Areal von den Menschen angenommen wird. Überall flanieren Leute, trotz der Hitze. Abends ist der Medienhafen wohl ein besonders beliebter Aufenthaltsort.
Freitag bis Montag, 15. – 18.6
Auf dem Weg zu Eva und Micha nach Köln machen wir eine. Abstecher zur Kohletagebau Hambach. Wenn man das gigantische Loch in der Landschaft nicht live gesehen hat, glaubt man es nicht. Die riesigen Schaufelradbagger wirken wie Spielzeuge. Der größte ist übrigens 96 Meter hoch (!) und kann 240.000 Tonnen Abraum baggern. Täglich! Ende 2034 ist jedenfalls Schluss mit Braunkohleabbau, danach soll das Gelände renaturiert werden.
Nach einem weiteren Besuch Köln bei Eva und Micha, die wir ebenfalls in Tarifa kennengelernt haben, fahren wir nach Refrath zu einem Familientreffen. Sonntag geht es dann endgültig wieder Richtung Bodensee, bei vollen Autobahnen und mindestens 30 Grad Hitze. Wir sind mal wieder froh, dass wir alles „an Bord“ haben und die überfüllten Autobahnraststätten meiden können. Wir übernachten ein letztes Mal bei Freunden nähe Singen und sind am Montag wieder zuhause. Unser Wohnmobil ist super bei allen Temperaturen, außer bei großer Hitze. Dann kühlt es nachts gar nicht mehr ab. Jetzt freuen wir uns auf unser Häuschen, in dem es angenehm kühl bleibt.