Sonntag, 10.9., bis Mittwoch, 13.9.
Unsere Reise beginnt mit einem Abstecher nach Oberbayern. Wir besuchen zunächst meine Patentochter Veronika und ihren Freund Josef (Vroni und Sepp). Während Vroni und ich einen Spaziergang machen und dabei ausgiebigst ratschen, wie man das hier nennt, schnippeln die Männer schon mal das Abendessen. Nach dem, was man in der Schweiz „Spaghettiplausch“ nennt, also nach zwei äußerst leckeren Spaghettivarianten, und nach intensiven Gesprächen auf dem Balkon in einer lauen Spätsommernacht, verziehen wir uns ins Wohnmobil, das wir vor der Türe parken durften.
Vroni und Sepp sind natürlich längst bei der Arbeit, als wir aus unserer Koje kriechen. Zum Frühstücken fahren wir ins nächste Dorf, wo wir bei der Kirche ein Plätzchen mit Blick aufs umliegende Moor finden.
Von dort aus geht es weiter zu Anne und Thom, Veronikas Eltern. Auch hier wird stundenlang geplaudert. Weil es so heiß ist, bleiben wir auf der schattigen Terrasse und drehen nur gegen Abend eine kleine „Hunderunde“. Den Hund gibt es leider nicht mehr, die Runde ist geblieben. Hier können wir auf dem Kirchplatz übernachten und sind überrascht, dass die Glocken bereits um 5 Uhr morgens anfangen zu läuten. Wie Anne uns erklärt, ist das sozusagen der Wecker für die Bauern.
Die beiden Dörfer, in denen Veronika und Anne wohnen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Beides sind Schlafdörfer, mit vielen Familien und vielen Kindern. In Annes Dorf gibt es außerdem noch einige große Bauernhöfe. Der Hauptunterschied liegt jedoch im Verkehr. Während Veronikas Dorf verkehrsberuhigt ist und nur mit Tempo 30 befahren wird, hält sich in Annes Dorf niemand an das Limit von 50. Zwei Landstraßen kommen hier von der einen Seite zusammen und teilen sich im Dorf. Die kräftig motorisierte Landbevölkerung brezelt mit den erlaubten 100 km/h heran, bremst kurz herunter auf gefühlt Tempo 70, um nach einer unübersichtlichen Kurve im Dorf wieder zügig zu beschleunigen. So winzig das Dorf ist (213 Einwohner), so viel Respekt hat man beim Überqueren der einzigen Straße. Wie mir Anne berichtet, sind alle Bemühungen um ein niedrigeres Tempolimit bisher gescheitert. „Der Verkehr muss fließen“, war demnach die Antwort der Behörden.
Was wir am Vortag noch nicht besprochen haben, holen wir am Dienstag Morgen bei einem ausgiebigen Frühstück nach, bevor wir nach München zum nächsten Besuch aufbrechen. Wir fahren zu einem Campingplatz in Thalkirchen, der im Süden von München direkt an der Isar liegt. Der Campingplatz ist riesig, idyllisch gelegen und gut mit Bus und U-Bahn angebunden. Von der Idylle wird in den kommenden beiden Wochen allerdings nicht viel übrig bleiben. Wir bekommen einen Vorgeschmack darauf, wie es hier während des Oktoberfests zugehen wird. Ein Trupp von Helfern errichtet eine wahre Zeltstadt mit hunderten größerer und kleinerer Zelte, baut eine Bühne auf, macht ausgiebigen Soundcheck und installiert mehrere Getränke- und Essenswagen. Auf der Campingplatz-website wird mit einer „After-O-party“ geworben: „cold drinks, good food, great party“. Denn: „Nach der Wiesn ist noch lange nicht Schluss“. Gut, dass wir bis dahin längst wieder weg sind.
Abends gehen wir mit Freund Wolfgang, meinem Neffen Jakob und seiner Freundin Aline in ein georgisches Restaurant in der Nähe. Die (georgischen) Kellner kommen zwar ein wenig furchteinflößend daher, aber das Essen ist wirklich sehr gut. Viel Knoblauch, viel Petersilie und viele Walnüsse. Besonders der Vorspeisenteller, den wir uns teilen, ist ausgesprochen lecker. Wasser wird beim Georgier übrigens maximal in 0,75 l Flaschen angeboten – im Gegensatz zum Wodka! Davon gibt es drei Sorten, jeweils auch als Literflasche.
Am nächsten Tag fahren wir zu einem Familientermin nach Hause.
Donnerstag, 14.9.
Wir wollen wieder weg, müssen aber voraussichtlich nächste Woche noch einmal zurück sein. Deshalb suchen wir ein Ziel in der Nähe und landen im oberen Donautal auf einem Campingplatz namens Wagenburg. Der Name stammt übrigens von einer Burgruine oberhalb des Platzes. Die Donau hat sich in diesem Bereich zwischen Beuron und Sigmaringen tief in die Schwäbische Alb gegraben. Ein weites, offenes Tal wird von schroffen Felswänden begrenzt. Wir installieren uns und genehmigen uns ein Feierabendbier. Sobald die Sonne hinter den Felswänden verschwindet, wird es kalt und feucht und ungemütlich. Zumindest draußen. Wir liegen früh in unserer Koje.
Freitag, 15.9.
Die Sonne braucht relativ lange, bis sie hinter den Felsen hervorkommt, aber dann wird es schlagartig warm. Wir radeln der Donau entlang, zunächst zum Kloster Beuron. Die Klosterkirche ist ein schöner, lichter Barockbau, an die Ende des 19. Jahrhunderts eine prachtvolle Kapelle mit düster-goldfarbenen Jugendstil-Fresken angebaut wurde.
Auch in die andere Richtung, also Richtung Sigmaringen, ist die Fahrt ein Erlebnis. Die Donauschlaufen werden enger, man fährt an senkrecht aufragenden Felsen vorbei und kurz darauf durch liebliche Flussauen. Am Ufer träumen verschlafene Dörfer und Weiler vor sich hin, während auf den Klippen Burgen, Schlösser und Ruinen thronen.
Abends bekommen wir Besuch von Ulli und Joa, von denen der Tipp mit dem Campingplatz ursprünglich stammte. Auch der Platz hat sich gefüllt, überall wird gegrillt, geplaudert und gelacht. Ulli und Joa haben für uns alle eingekauft, und so kommen auch wir in den Genuss von Gegrilltem.
Samstag, 16.9,
Morgens steckt das Donautal in tiefstem Nebel. Die Felsen um uns herum sind nicht sichtbar, alles ist in Watte gepackt. Kurz vor 11 Uhr taucht die Sonne spektakulär über den Felsen auf und brennt den Nebel in kurzer Zeit weg.
Wir fahren mit den Rädern aus dem Donautal hinauf auf die weite, karge Hochebene der Schwäbischen Alb. In Stetten am kalten Markt kann man sich grob vorstellen, wie es hier im Winter ist. Kalt! Dann tauchen wir ein in das verschlafene, liebliche Tal der Schmeie, die ganz sanft Richtung Donau mäandert. Und bald sind wir wieder im Donautal mit seinen sanften Flußschleifen und den schroffen Felsabbrüchen. Ganz ehrlich, das war eine der schönsten Radtouren, die ich bisher überhaupt gemacht habe.
Zum Abschluss gönnen wir uns eine kleine Stärkung und genießen den Blick vom Ausflugslokal ins Tal.
Sonntag, 17.9.
Wir sind so stolz auf unseren neuen Wechselrichter, dass wir immer alles sofort laden, und außerdem den Föhn und den elektrischen Wasserkocher benutzen. Damit haben wir es wohl etwas übertrieben und bekommen in der Nacht die Quittung: kompletter shutdown. Der Strom fällt aus, unsere beiden Lithium-Batterien sind völlig leer. Morgens organisieren wir mit Joas Hilfe Strom, so dass zumindest der Kühlschrank wieder funktioniert. Gut, dass die Lithium-Batterien sowas überhaupt mitmachen.
Heute fällt die Radtour etwas kürzer aus. Es ist der letzte Tag der Saison auf dem Campingplatz, und alle müssen abreisen. Wir fahren nochmal auf die Hochebene der Schwäbischen Alb und zum Schloss Werenwag, das eindrücklich auf einem Felssporn über der Donau thront. Das Schloss ist im Besitz der Hohenzollern und immer noch bewohnt. Leider darf man es nicht besichtigen, sondern nur vom Tor aus einen Blick auf das Anwesen werfen. Es sieht aus dieser Perspektive übrigens gar nicht so spektakulär aus wie von unten.
Wir verfransen uns ein bisschen, fragen mehr als einmal nach dem Weg und lernen dabei nette Leute kennen. Am Ende finden wir die perfekte Steecke über Irndorf und einen Waldweg wieder hinunter ins Tal. Die wenig angenehme Alternative wäre die Landstraße nach Beuron gewesen, eine beliebte Motorradstrecke.
Das war ein super nettes Campingwochenende mit Ulli und Joa, vielleicht gerade weil es so spontan war.
Spontan laden wir uns bei den nächsten Freunden ein, bei Hucky und Christiane im Deggenhausertal. Bei strahlendem Spätsommerwetter ist die Fahrt dorthin schon wieder ein Erlebnis. Wir werden lecker bekocht, bekommen eine Ladung Strom für unsere Batterien und einen ruhigen Stellplatz bei einem Sportverein zugewiesen.
Montag, 18.9.
Heute regnet es und soll auch den ganzen Tag so bleiben. Wir fahren zu Hymer nach Bald Waldsee, schauen uns die aktuellen Wohnmobile an (und finden kein einziges schöner als unseres) und besichtigen danach das Hymermuseum. In einem interessanten Gebäude wird hier die Geschichte des Campens mit vielen Wohnwagen und den dazu „passenden“ Autos sowie mit Wohnmobilen gezeigt. Die Campingbewegung fing Ende des 19. Jahrhunderts in England an und nahm nach dem zweiten Weltkrieg richtig an Fahrt auf. Pioniere wie Erich Bachem adaptierten die Leichtbauweise von Flugzeugen für die neuen rollenden Behausungen. Auf einer Rampe laufen die Besucher an Trabbis mit selbstgebauten Dachzelten vorbei, an Amphibiencampern und an den ersten Wohnmobilen und ausgebauten VW-Bussen. Von der Hippie- zur Surferbewegung geht es bis zu aktuellen Modellen, die selbst im tiefsten Winter noch Wohnkomfort bieten.
Normalerweise ist es nicht erlaubt, auf einem Museumsparkplatz zu übernachten. Bei Hymer schon.
Dienstag, 19.9.
Es hängen noch graue Wolken am Himmel, aber es regnet nicht mehr. Nach der Campinghistorie soll es heute ein bisschen Barock sein, und wir besichtigen die schönste Dorfkirche Deutschlands. In Steinhausen, einem Ortsteil von Bad Schussenried, steht ein kleines Rokokojuwel.
Die Kirche hat einen ovalen Grundriss und wird durch drei übereinanderliegende Fensterreihen mit Licht durchflutet. Alles spielt sich an der Decke ab. Das zentrale Kuppelfresko zeigt Marias Aufstieg in den Himmel, ergänzt von acht Fresken außerhalb der Pfeiler, die ihren Lebensweg nachzeichnen. Die Stukkaturen an den Wänden und Pfeilern fügen sich meisterhaft in die perspektivische Malerei des Deckengemäldes ein. Wie auf einem Wimmelbild findet man immer neue Details. So sind in den Stukkaturen zahlreiche Tierdarstellungen versteckt. Das Ganze war übrigens familiäre Teamarbeit: Baumeister Dominikus Zimmermann war für den Kirchenbau und für die Stukkaturen zuständig, sein Bruder Johann Baptist Zimmermann für die Fresken.
Nach der Rokoko-Kirche geht es in die Natur. Gleich um die Ecke bei Bad Buchau liegt der Federsee, bzw. das Federseemoor, mit 33 qkm das größte Moorgebiet in Südwestdeutschland. In 2 km langer Holzsteg führt über das Schilf zum See. Das Naturschutzgebiet ist Heimat unzähliger Vögel, Insekten und Fische.
In früheren Jahrhunderten wurde hier Torf abgebaut, was eine Absenkung des Grundwasserspiegels bewirkte. Dabei tauchten archäologische Zeugnisse prähistorischer Siedlungen von der Altsteinzeit bis zu den Römern auf. Die Geschichte dieser Siedlungen wird in einem hübschen kleinen Museum erklärt, das sinnigerweise auf Pfählen im Wasser steht. Im Museumsgarten werden jedes Jahr im Rahmen von Projektwochen Hütten in verschiedenen Baustilen errichtet, Flachs gehechelt, gesponnen und gewebt und Tierhäute gegerbt.
Wir können direkt am Museum und am Schilfrand stehen und sind mal wieder erstaunt, wie dunkel es nachts ist.
Mittwoch, 20.9.
Bei der Fahrt nach Isny im Allgäu überlegen wir zum wiederholten Mal, warum wir so gerne weit weg fahren, wenn es um die Ecke ebenfalls traumhaft schön ist. Die Hügel wellen sich, die Kühe sind anerkanntermaßen schöner als die Mädle (OK, ein ganz blöder Spruch), Kirchen mit Zwiebeltürmchen dominieren die Ortschaften, und im Hintergrund sieht man die Alpen mit blauen Bergen.
Isny ist ein hübsches kleines Städtchen, dessen oval angelegte Innenstadt zu großen Teilen noch von der alten Stadtmauer umgeben ist. Einträchtig stehen die katholische Kirche St. Georg und Jakobus (im Rokokostil) und die reformierte Nikolaikirche nebeneinander, beide mit Zwiebeltürmen, versteht sich. In der Innenstadt fällt sofort die grafisch schöne Beschilderung in schwarz-weißen Piktogrammen auf. Otl Aicher, Deutschlands berühmtester grafischer Gestalter, hat sie Ende der Siebziger Jahre für Isny entworfen. Isny stand für ihn dabei gleichzeitig stellvertretend für die hügelige, bäuerlich geprägte Landschaft des Allgäus. Eine kleine Ausstellung im Zentrum von Isny zeigt alle 138 Piktogramme und beschreibt Aichers Arbeitsweise.
Donnerstag, 20.9.
Es ist nochmal ein strahlend schöner Tag, bevor morgen der große Regen einsetzen soll. Ich mache eine mittlere Radtour, ohne Komoot und ohne vorher definierte Route. Hier ist alles so offen und weit, dass man sich jederzeit orientieren kann. Die kleinen Sträßchen sind gut zu fahren und praktisch autofrei. Ein Radlerparadies.
Freitag, 21.9,
Wir sind so froh, dass wir noch am Vorabend alles gepackt haben: Gartenstühle ins Auto, Fahrräder auf den Träger und Markise eingefahren. Es regnet Bindfäden, und man ist sofort klatschnass. Aber wie gesagt, wir müssen außen fast nichts mehr machen.
Wegen des schlechten Wetters fällt es uns nicht ganz so schwer, dass wir die Reise erneut unterbrechen müssen. Wir fahren nach Hause.
Dort angekommen entladen wir unser WoMo teilweise, da wir die Tage ja wieder los wollen. Am Samstag beschließen wir dann allerdings für eine ganze Woche daheim zu bleiben. Es gibt schlimmeres – besonders, da es die nächste Woche noch um die 20 Grad warm sein soll.