Für fünf Tage sind wir nun ins Berner Oberland gefahren, genau gesagt nach Kiental. Eigentlich waren 7 Tag geplant, aber aufgrund der Wetterprognose sind wir nur von Mittwoch bis Sonntag dort. Freitag treffen wir uns dort mit Freunden, denen wir den Trip zu verdanken haben, da sie die Gegend kennen und mir ein Wochenende zum Geburtstag dort geschenkt haben. Wir hoffen, dass das Wetter dann etwas besser ist und wir etwas gemeinsam unternehmen können. Schön Essen gehen werden wir ganz sicher.
Nachdem es gestern recht frisch (ca. 15 Grad) war und nachts sogar die Heizung angesprungen ist, ist es heute (Donnerstag) sogar sonnig. Jeannine ist zu einer grösseren Wanderung gestartet. Ich habe mit der Hotline unseres Daten-Karten-Anbieters telefoniert, da wir leider über unseren Router keinen Internetzugang haben. Es scheint so zu sein, dass wir in einem Funkloch sind… online also nur mit Hotspot (langsam und dann irgendwann recht teuer).
Der „Campingplatz“ ist eigentlich keiner – denn es gibt gerade mal 3 Plätze, auf gesamt ca. 150 qm. Gestern Abend haben sich (mit uns) 3 Fahrzeuge die Wiese geteilt. Erinnerte also mehr an einen Stellplatz. Auf dem Rest des Geländes befinden sich lauter Mobilhomes. Nun ja, trotzdem ganz nett. Die (4?) Betreiberinnen haben den Platz erst am 1.7.23 übernommen – sind also auch noch nicht ganz „eingerichtet“. So ist das Restaurant noch geschlossen und Gipfeli gibt es auch nicht. Immerhin kann man auf der Terrasse einen Kaffee trinken.
Ein weiterer, sehr grosser Schritt zum autarken Campen ist unser neuer Wechselrichter.
Wofür braucht mann/frau so etwas? Nun, dass WoMo verfügt über 2 Solarpanels und 2 Lithiumbatterien die den „Aufbau“ (=Wohnbereich)* mit 12V-Strom versorgen. Der in den Batterien gespeicherte Strom wird in das im WoMo vorhandene „Stromnetz“ eingespeist, z.B. für die LED-Beleuchtung, die Wasserpumpen, den Lüfter im Bad, den Kühlschrank, usw. Zudem sind mehrere USB-Ladestationen (vom Hersteller) im Auto verbaut, sodass man iPhones, iPads usw. direkt an den Buchsen, mit 12V, laden kann.
*das WoMo hat zusätzlich auch eine Starterbatterie, wie jedes Auto, die den Anlasser, Blinker, Fensterheber, Licht usw. versorgt.
ABER: Dies alles nur mit 12V. Es gibt aber auch Geräte, die 230V benötigen (z.B. Fön, Elektrokocher,..) oder Akkus die mit 230V geladen werden müssen, wie z.B. die von den eBikes oder vom Akkustaubsauger und unserer Zahnbürste. Die nötigen 230V bekam man (bislang) nur über den „Landanschluss“ auf dem Campingplatz. Das WoMo hat einen (Aussen-)Stecker den man mit der „Stromstation“ auf dem CP per Kabel(-Trommel) verbinden musste. Somit konnte man, aber nur solange man Landstrom hatte, auch die 230V Geräte betreiben/laden. Dies ist aber nur auf CPs möglich und nicht auf Stellplätzen (die nur selten Lade-/Stromanschlüsse bieten), wo man dann diese Geräte nicht nutzen und nicht laden konnte.
Dies ändert sich mit einem Wechselrichter: Wie der Name andeutet, wandelt er denn 12V-Strom (der in den Solarpanels gesammelt und den Batterien gespeichert wird) in 230V. Somit hat man alle Möglichkeiten die verschiedensten Verbraucher anzuschließen. Die Kapazität ist (bei unserem) auf 1500W begrenzt. Geräte mit weniger Leistungsaufnahme können also verwendet werden – und „ziehen“ während dem Betrieb/Laden Strom aus den beiden Lithiumbatterien, die durch die Solarpanels weiter geladen werden (solange die Sonne scheint). Wir produzieren nun also unseren eigenen Strom und sind unabhängig von den Landstromanschlüssen auf den CPs.
Wie lange die Batterien genug 230V-Strom abgeben können hängt davon ab, wie viele Geräte/Akkus man gleichzeitig nutzt und ob währenddessen die Solarpanels genügend Sonne bekommen um die Batterien wieder zu speisen. Fährt man mit dem WoMo laden sich die Batterien auch dadurch (wie bei der Startertbatterie via Lichtmaschine) wieder auf. Schließt man das WoMo trotz Wechselrichter auf dem CP an den Landstrom an, so werden die Batterien weiter geladen und es wird automatischer der Landstrom verbraucht, d.h. die Batterien werden nicht in Anspruch genommen.
Der Sinn ist also, dass man auch dort wo man keinen Landstrom bekommt, trotzdem seine eigenen 230V produzieren und nutzen kann. Außerdem entfällt das Ausrollen der Kabeltrommel auf dem CP für den Anschluss an den Landstrom – und man spart auf dem CP pro Übernachtung ca. EUR 4.-, wenn man keinen Strom benötigt.
Unser Wechselrichter hat (inkl. Einbau) ca. EUR 1.500.- gekostet. Amortisiert sich also nach ca. 400x Stromnutzung auf dem CP und bietet natürlich die o.g. Vorteile der Unabhängigkeit.
Eingebaut ist der Wechselrichter unter der Sitzbank (dort sind auch die beiden Batterien). Von aussen sieht man nur dieses kleine Kästchen, mit dem Ein- und Ausschalter:
Anmerkung 20. Oktober 2023
Auch wenn die App einen Ladezustand der Batterien von je 100% anzeigt: Man sollte es nicht übertreiben! Wir haben es nun 2x „geschafft“ die Batterien komplett zu entladen. Eigentlich waren sie voll – dann haben wir geladen (die Fahrradakkus, die Zahnbürste und Wasser mit dem Elektrokocher gekocht). Und schwupp, waren sie leer. Genau genommen nach ca. 5 Tagen. Da sie nicht „nachladen“ konnten (via Sonne) und wir auch nicht gefahren sind, ging dann die gesamte Elektrik im WoMo aus: Innenbeleuchtung, Pumpen der Wasserhähne, Kühlschrank…alles. Es dauerte dann, mit Anschluss/Aufladen via Landstrom und Fahren ca. 24 Stunden, bis die Batterien wieder ihre volle Leistung hatten. Besonders im Herbst (und Winter) sollte man also doch überlegen, was und wie lange man etwas lädt, da die Solarzellen es nicht schaffen „nachzuladen“ oder man wechselt öfter den Stellplatz/CP, da die Batterien dann auch während der Fahrt geladen werden.
Das Problem kennt wahrscheinlich jeder Camper: Kein Internet! Da Campingplätze in der Regel recht gross sind, gibt es meistens nur in der Nähe der Rezeption einen halbwegs guten Empfang, über den (öffentlichen, nicht geschützten) Router des CPs. Das Passwort dafür erhält man meistens beim Einchecken. Und zwar erhalten es alle – d.h. dieses Netz wird langsamer, je mehr Camper sich dort anmelden. Zudem muss man sich mit seinen Geräten (iPad, Laptop,..) in der Nähe der Rezeption aufhalten – dort ist man oft nicht alleine, wird gestört, o.ä.
Die individuelle Lösung: Ein eigener, mobiler Router! Dafür braucht man das Gerät an sich (ca. 10x10x2 cm gross) und eine SIM-(Daten-)Karte. Damit kann man seinen eigenen Internetzugang und sein WLAN einrichten (und alleine nutzen). Der mobile Router lässt sich mit diversen Geräten gleichzeitig verbinden (mehrere iPhones, mehrere iPads, usw.).
Wir haben uns einen „Netgear Nighthawk M1“ Router gekauft und diesen daheim mit einer heimischen Karte ausgiebig und erfolgreich getestet. Die Recherchen haben nämlich ergeben, dass man die SIM-Daten-Karte günstiger im jeweiligen Urlaubsland kauft, da ansonsten Roaming-Gebühren anfallen können. Zudem sind deutsche und Schweizer Karten in der Regel wesentlich teurer, als z.B. französische oder spanische Karten.
Den mobilen Router also für die Reise eingepackt und bei der ersten Gelegenheit in Frankreich eine französische Karte gekauft. Dafür gingen wir in einen „Orange-Shop“ (in Frankreich einer der größten Telekommunikationsanbieter). Diese schickten uns lustigerweise gegenüber zu einem Tabak-Shop – der genau die gewünschten Karten verkauft. Auf dem Kassenzettel stand dann der Aktivierungscodes und das Basispasswort. Eine SMS an den Anbieter – und dann wurde die Karte freigeschaltet. Perfekt!
So haben wir nun unser eigenes (sehr schnelles und stabiles) Internet/WLAN, das wir überallhin mitnehmen können (z.B. an den Strand oder zu einem netten Sitzplatz).
Die Karte hat eine Laufzeit von einem Monat und kann dann wieder mit neuem (Daten-) Guthaben aufgeladen werden. Bei der nächsten (Spanien-)Reise werden wir uns ebenfalls eine entsprechende Karte kaufen.
Das ist der mobile Router. Weitere Anschlüsse: Antenne, Ethernet, auch als Powerbank nutzbar.
Wir ändern mal wieder kurzfristig unsere Reiseroute. Für die Cevennen, wo wir eigentlich hinfahren wollten, ist die Wetterprognose für die nächste Zeit nicht so prickelnd. Regen hatten wir zuhause genug, jetzt wollen wir in die Sonne fahren. Paradoxerweise ist die Vorhersage für den Norden Frankreichs besser als für den Süden, also richten wir uns danach aus.
Wir fahren die nun schon altbekannte Route über Freiburg, Belfort, Besançon und peilen einen Campingplatz in Dole an, auf dem wir vor einigen Jahren schon mal waren. Die Fahrt ist unspektakulär und glücklicherweise stau- und regenfrei. Viel Verkehr ist natürlich trotzdem, aber zumindest keine LKWs.
Dole ist ein hübsches mittelalterliches Städtchen im Burgund und liegt an einer Schleife des Flusses Doubs. Der Campingplatz ist sehr idyllisch in einem Dreieck zwischen dem Fluss und dem Rhein-Rhone-Kanal gelegen, aber leider belegt. Reserviert hatten wir nicht, müssen also wieder umdrehen. Jetzt sind wir froh über unser Wohnmobil. Im Gegensatz zum Wohnwagen können wir damit auch auf dem Stellplatz im Ort übernachten, der zwar weniger beschaulich ist, aber dafür näher an der Stadt liegt. Wir haben einen Panoramablick auf die Altstadt mit Kathedrale.
In 5 Minuten ist man in der Altstadt. Es gibt eine Passage unterhalb mehrerer Häuser, die vom Kanal zu einer Gasse weiter oben führt. Im Städtchen wartet eine Blasmusikgruppe mit schwungvollem und etwas schrägen Sound direkt vor der Kathedrale auf. In der Kirche das Kontrastprogramm: eine klassische Solosängerin, begleitet von der Orgel.
Wir entscheiden uns für Resteessen im Wohnmobil und liegen um 22:30 Uhr im Bett.
Freitag, 19.5.
Nach einem weiteren Spaziergang durch Dole, inklusive Kaffee und dem erfolgreichen Kauf einer SIM-Karte für unseren neuen Router, peilen wir Beaune an, das im Zentrum des Weinanbaugebiets Côte d‘Or im Burgund liegt. Leider sind wir nicht die einzigen, die das Städtchen an diesem Feiertagswochenende besichtigen wollen. Wir probieren es auf zwei Campingplätzen und einem Stellplatz, aber alles ist bereits voll. Wir fahren weiter nach Westen und landen in einem Dorf namens Nolay, wo wir mehr Glück haben. Der Campingplatz ist sehr naturbelassen und offensichtlich ein Geheimtipp für Zelt-Camper. Oder es liegt wiederum am Feiertagswochenende, dass so viele Gruppen und Familien hier übernachten.
Nolay ist ein winziges Weinbaudorf. Im Zentrum die typische romanische Kirche, und daneben eine riesige offene Markthalle. Eigentlich ist es eher ein aufgeständertes Dach mit beeindruckender Holzkonstruktion. Das Markt-Dach stammt original aus dem 14. Jahrhundert und hat die Zeitläufte erstaunlich gut überstanden.
Wir entscheiden uns für Pizza vom Campingrestaurant. Alle Gäste sitzen draußen, und wir scheinen die einzigen zu sein, die frieren. Neben uns sitzen Camper in Flip-Flops, während wir bedauern, dass wie die Daunenjacke nicht eingepackt haben. Die Pizza bestellen wir dann kurzerhand zum Mitnehmen. Im Wohnmobil ist es definitiv gemütlicher.
Samstag, 20.5.
Wir fahren auf Landstraßen durch das Burgund und sind begeistert. Die Anbaugebiete sind eher kleinteilig, die hügelige Landschaft abwechslungsreich, die Dörfer mittelalterlich, die Häuser blumengeschmückt. Über mehrere Kilometer führt die Landstraße neben dem Canal du Centre, der die Saône mit der Seine verbindet. Eine Schleuse folgt dicht auf die nächste, und die Fahrt auf dem Kanal ist definitiv nichts für Hektiker. Zusammen mit einer Radlergruppe beobachten wir, wie ein Flussschiff langsam in einer Schleuse abgesenkt wird und danach wie befreit unter der Brücke hindurchfährt.
Wir machen einen Abstecher nach Paray-le-Monial, wo es eine sehr schöne romanische Kirche gibt. Sie ist ein Ableger von Cluny und eine Version der dortigen Kirche im Kleinformat. Beide Kirchen wurden im 13. Jahrhundert während der großen Pilgerwelle nach Santiago de Compostela als Wallfahrtskirchen erweitert.
Die Basilika von Paray-le-Monial sieht von außen eher gedrungen aus. Im Inneren jedoch besticht der schnörkellose Kirchenraum durch seine Klarheit. Viel Licht fällt auf den gelblichen Sandstein der Mauern und auf das wunderbare Fresko im Deckengewölbe des Altarraums.
Hinter der Basilika liegt ein Park mit weiteren Kapellen, der den Pilgern zur Verfügung steht, die zum Sacré Coeur ziehen. Als wir ankommen, haben sich zahlreiche Pilger im Park zu Gebets- und Gesprächskreisen versammelt. Etwa eine Stunde später ist niemand mehr zu sehen.
Wir übernachten auf einem Stellplatz in einem Dorf namens Gouzon. Der liegt auf einem weitläufigen Platz am Rande des Dorfes und ist nicht nur gut ausgestattet, sondern richtiggehend gemütlich mit vielen Bäumen und einem kleinen Park.
Sonntag, 21.5.
Von den rund 260 Kilometern, die wir heute in Richtung Nantes fahren, sind gefühlt 200 Kilometer schnurgerade Straßen, die ohne Kurven die Hügel hinauf- und wieder hinabführen. Unterbrochen werden sie nur durch die allgegenwärtigen Kreisel. Wir fahren meistens auf Nationalstraßen, auf denen heute lebhafter Verkehr herrscht.
Nach der etwa 50. „Ente“, die wir sehen (Citroën 2CV), googeln wir mal. Und tatsächlich: Im bretonischen Plouay hat ein nationales 2CV-Treffen stattgefunden. Von dort kommen sie alle her, die Enten.
Wir machen eine kurze Rast auf einem Parkplatz und sind wieder angetan davon, wie gut die Infrastruktur auf französischen Straßen ist. In regelmäßigen Abständen gibt es Parkbuchten. Etwas weiter voneinander entfernt sind Rastplätze eingerichtet, wie der, auf dem wir halten. Sie haben nicht nur genügend Parkplätze, sondern Picknicktische, Toiletten, Müllentsorgung für alle und Abwasserentsorgung für Camper. Manchmal gibt es -wie hier – eine Bude, in der man Getränke und Snacks kaufen kann. Aber die Franzosen sind vor allem auf Picknicks eingerichtet, sie haben Tischdecken und Picknickkörbe dabei und machen die Rast zum kulinarischen Event.
Nach den letzten Tagen brauchen wir mal eine Autopause. Wir finden einen Campingplatz zwischen Poitiers und Nantes an einem kleinen Flüsschen. Der Platz übertrifft die positiven Beschreibungen im Internet um ein Vielfaches. Außerdem sind wir fast die einzigen Gäste. Wir stehen mehr oder weniger allein in einem Park unter alten Bäumen an einem Flüsschen. Außer Vogelgezwitscher hören wir nichts. Jetzt müssen wir nur noch entscheiden, ob wir morgen lieber radfahren oder wandern wollen.
Montag, 22.5.
Wir genießen den Platz, von dem Claus meint, er höre sich an wie in einer Volière. Das Vogelgezwitscher ist unbeschreiblich. Dass wir in der Natur gelandet sind, zeigt sich spätestens angesichts eines riesigen Vogelschisses, der auf meinem weißen Handtuch landet. Dass Vögel so etwas Großes überhaupt produzieren können!
Es gibt hier viele gut ausgeschilderte Radwege, von denen einer dem Flüsschen entlang führt. Das ist bewusst naturbelassen – oder renaturiert worden – und ist ein echtes Biotop. Sogar Biber lässt man hier walten.
Abgesehen von dem Biotop-Flüsschen ist hier allerdings nichts Besonderes zu entdecken. Die Dörfer sind so wie französische Dörfer sind: Eine Kirche im Zentrum, eine „Mairie“ (Rathaus) mit dreifach gesteckten französischen Fähnchen, gelegentlich kombiniert mit einem Postamt. Eine Bäckerei, manchmal ein Metzger, selten eine Kneipe und häufig viel Leerstand. In der Ortsmitte eng gebaute alte Häuser, weiter außerhalb Neubausiedlungen mit „aufgeräumten“ Gärten ohne jeden Charme und praktisch ohne Baumbestand. Am Rande größerer Orte pulsiert dann das Leben mit Supermarkt, Tankstelle und Gewerbe.
Dienstag, 23.5.
Heute erreichen wir endlich die Bretagne. Unser erstes Ziel ist der sagenumwobene Wald Brocéliande, in dem König Artus und seine Ritter nach dem goldenen Gral gesucht haben sollen. Der Zauberer Merlin baute hier für seine Geliebte Viviane ein unterirdisches Schloss ais Kristall, so heußt es. Sagen und Mythen sind allgegenwärtig in der Bretagne.
Der verwunschene Zauberwald ist heute ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer, Naturliebhaber und Schulklassen. Die Stell- und Campingplätze in Paimpont in der Mitte des Waldes gefallen uns aber nicht, weshalb wir weiterfahren. Wir landen auf einem Campingplatz an einem Badesee namens Lac du Duc bei Ploërmel. Obwohl der See winzig ist, bietet ein Wassersportzentrum direkt vor dem Campingplatz alle Möglichkeiten: Vom Tretboot bis zum Surfbrett wird hier alles vermietet, was schwimmt. Die Gegend ist auch ein Fahrrad-Paradies. Neben den wenig befahrenen Landsträsschen führt hier auch eine Voie Verte durch, ein Radwanderweg, der alte Bahntrassen nutzt.
Ploërmel ist ein wenig touristisches kleines Städtchen mit erstaunlich gut sortierten Geschäften. An der Hauptkirche St.-Armel beeindruckt vor allem das reich gestaltete Nordportal.
Mittwoch, 24.5.
In Ploërmel erstehen wir ein super leckeres Baguette und verputzen ein belegtes Sandwich direkt vor der Bäckerei. Da Claus keinen Rucksack für den Baguette-Transport dabei hat, wird erfolgreich improvisiert.
Die Radtour führt weiter auf der Voie verte und entlang des Kanals Nantes-Brest zu dem kleinen Ort Josselin. Der Nantes-Brest-Kanal wurde übrigens ursprünglich von Napoleon in Auftrag gegeben und war im 19. Jahrhundert eine wichtige Route für den Lasttransport. Heute hat der 364 km lange Kanal mit seinen 264 Schleusen nur noch touristische Bedeutung. Die alten Schleusenhäuser wurden renoviert und dienen als Gasthäuser für die Freizeitschipper und die Radfahrer, die den Kanal entlang fahren. Der Kanal ist ein Naturparadies. Kühe und Schafe weiden bis an seine Ufer, alte Bäume lassen ihre Äste ins Wasser hängen, Seerosen treiben träge im Wasser, und die Zeit scheint stehengeblieben zu sein.
Josselin gehört zu den „petite cités de charactère“, zu den Kleinstädten mit Charakter, eine Auszeichnung, die Ende der 70er Jahre in der Bretagne erfunden wurde. Hoch über dem Städtchen thront ein Schloss aus der frühen Renaissance, das seit rund 800 Jahren im Besitz derselben Familie ist. Im Stadtzentrum gruppieren sich liebevoll restaurierte Fachwerkhäuser in bunten Farben um die Kathedrale.
Donnerstag, 25.5.
Nachdem wir unsere Infrastruktur in Schuss gebracht haben (Grauwasser raus, Frischwasser rein, tanken, einkaufen), machen wir einen Abstecher zu den Hinkelsteinen bei Carnac. Vor 7000 Jahren wurden hier auf einem Gebiet von 4 km Länge insgesamt 3000 sogenannte Menhire errichtet, also Felsblöcke senkrecht aufgestellt. In langen Reihen, wie eine zu Stein gewordene Armee. Warum genau unsere prähistorischen Vorfahren diese Mühsal auf sich genommen haben, ist bis heute ungeklärt.
Von Carnac aus, das geschützt am Golf von Morbihan liegt, ist es ein Katzensprung zu unserem nächsten Ziel, der Halbinsel Quiberon. Es gibt eine einzige Zufahrtstraße, die über einen Damm führt. Auf der Straße ist schon mal viel los, Vorbote für das lange Pfingstwochenende. Quiberon hat eine geschützte Seite, die dem Golf von Morbihan zugewandt ist, und eine wilde Küste (côte sauvage) Richtung Atlantik. Die Campingplätze liegen sinnvollerweise alle auf der „sanften“ Seite, so auch unserer. Anders als in den Tagen zuvor scheint heute die Sonne, am Himmel keine einzige Wolke. Obwohl ein kräftiger Wind weht, haben wir auf einen Schlag das Gefühl von Sommer, Sonne, Meer. Wir drehen eine Runde mit dem Rad zum Hauptort Quiberon, und ich erstehe ein bretonisches Ringelshirt. Der Sommer kann beginnen.
Freitag, 26.5.
Wäsche waschen ist angesagt, und wir meistern die Herausforderung, zwei Maschinen auf unsere Wäscheleinen zu bekommen, für die es hier zu wenig Bäume gibt. Die Leine hängt bis fast auf den Boden durch, aber es ist ja alles im Nu trocken. Bei jeder Mahlzeit werden wir von einem Rotkehlchen besucht.
Nochmal eine kleine Radtour, und abends werfen wir zum ersten Mal unseren Grill an.
Samstag, 27.5.
Wir drehen eine Runde mit den Rädern um die ganze Insel und schauen uns die wilde Seite der Küste an. Es ist heute praktisch windstill. und wir können einen Kaffee trinken, ohne den Keks festhalten zu müssen. Auf dem Meer tummeln sich Segelboote, Taucher erkunden die Felsen, und Biker tuckern über die Sträßchen. In kleinen Buchten quietschen Kinder im Wasser.
Sonntag bis Montag, 28.-29.5.
Wir bleiben kurzentschlossen das ganze Pfingstwochenende auf Quiberon, radlen mehrfach um die Halbinsel, bewundern die schönen Häuser in den Dörfern und die sandigen Buchten zwischen den Felsen.
An der Côte Sauvage gibt es ein natürliches Felsentor, das man zu Fuß entdecken kann.
Was man auf den Fotos nicht zeigen kann, sind die Düfte! Man riecht Pinien, Ginster und Rosen, und man wird geradezu überwältigt von den Duftwolken des Jasmins, der hier zur Zeit blüht.
Dienstag. 30.5.
Wir folgen einem Tipp unseres Campingnachbarn und fahren nach Guilvinec, einem der größten Fischereihäfen der Bretagne. Wir finden einen netten Camping Municipal (das sind einfache Campingplätze, die der jeweiligen Gemeinde gehören) und fahren mit den Rädern am Strand entlang ins Städtchen.
Direkt am Hafenkai liegt eine riesige Halle, und Besucher können den ganzen Ablauf von der Ankunft der Kutter bis zum Abtransport der Fische im Rahmen einer Führung mitverfolgen.
Guilvinec ist bezogen auf die umgeschlagene Tonnage der viertgrößte Fischereihafen Frankreichs, umsatzmäßig sogar der zweitgrößte. Die Kutter, die wir beobachten, waren auf Tagestour, das heißt, sie sind morgens um 3 oder 4 Uhr gestartet und kommen zwischen 16 und 17 Uhr zurück. Unsere Führerin erklärt, dass es auch größere Kutter gibt, die 8 bis 14 Tage lang unterwegs sind und in der irischen See und vor England fischen. Gefischt wird mit Schleppnetzen.
Wir kommen rechtzeitig, um die Einfahrt der Kutter in den Hafen beobachten zu können. Sie legen an jeweils festgelegten Plätzen am Kai an. Jeder Kutter hat einen eigenen Kran an Bord und hebt die Fischkisten auf den Kai, wo sie von den Hafenarbeitern in die Halle gefahren werden. Das ganze Procedere geht im Minutentakt. Ist ein Kutter entladen, legt er sofort vom Kai ab und macht Platz für den nächsten.
Beim Zuschauen sind wir nicht ganz alleine…
Unsere Führerin bringt uns in die Auktionshalle, in der Kühlschranktemperatur herrscht. Während es draußen richtig warm war, sind wir jetzt sehr froh über unsere Jacken. Die Auktion, auf Französisch „Criée“ (von Schreien), war früher so, wie man sich das vorstellt. Der Auktionator rief in rasendem Tempo die Angebote aus, die von den Bietern laut rufend angenommen wurden. Ich selbst habe das vor Jahren mal in einem anderen bretonischen Hafen miterlebt. Inzwischen hat sich das grundlegend geändert. Der Auktionator sitzt an einem Computerterminal, und alles läuft übers Internet. Immerhin kann man auf einer Anzeigentafel verfolgen, was gerade angeboten und zu welchem Preis verkauft wird.
In den Kisten liegen Fische und Krustentiere, fein säuberlich nach Art, Größe und Zustand sortiert. Schöne, große Exemplare gehen in die Gastronomie und in den Handel, kleinere oder verletzte Tiere in die Fischfabriken. Wir sehen eine unglaubliche Fülle verschiedener Fischarten, nicht alle sind hübsch. Besonders beeindruckend sind die Seeteufel, von denen übrigens nur die Schwänze gegessen werden. Der Kopf, der etwa die Hälfte des Fisches ausmacht, besteht praktisch nur aus Knorpel und wird zu Fischmehl verarbeitet.
Nach der Auktion fahren die Kisten auf Förderbändern zu einer Station, wo sie automatisch mit einer genau dosierten Menge Eis bedeckt werden. Die Förderbänder laufen weiter in den nächsten Teil der Halle, wo Roboter die Kisten kommissionieren. Die Kommissions-Kistenstapel werden von Hafenarbeitern auf Gabelstapler geladen und zu den Rampen gefahren. Allein den Gabelstaplerfahrern zuzusehen, ist ein Erlebnis. Sie haben ein ziemliches Tempo drauf, kurven umeinander herum und bewegen die Fischkisten trotzdem wie rohe Eier. Die LKWs, die die Fischfracht umgehend in den Rest des Landes liefern, können wir hinterher auf der Rückseite der Halle abfahren sehen.
Nach dieser Besichtigung haben wir richtig Hunger, Fischhunger, genauer gesagt. Aber es soll nicht sein. Wir versuchen es in fünf verschiedenen Restaurants, aber entweder sie haben geschlossen (egal welche Öffnungszeiten im Internet stehen) oder sie haben nichts mehr übrig, wie die Kneipe, in der wir ein Bier trinken und die nur Mittagstisch anbietet, oder sie öffnen erst viel später und lassen uns nicht vorher rein.
Zum Glück gibt es Spaghetti!
Mittwoch bis Donnerstag, 31.5. – 1.6.
Bisher waren wir an der Südküste der Bretagne unterwegs und wollen langsam an die Nord- bzw. Kanalküste. Auf dem Weg dorthin machen wir einen Zwischenstopp in dem Örtchen Châteaulin, das am Rande des Naturparks Armorique und am Kanal Nantes-Brest liegt, den wir ja bereits kennen. Bis hierhin führt auch der Kanalradweg, und entsprechend viele Fahrradtouristen sieht man auf dem Campingplatz. In Châteaulin gibt es am Donnerstag einen Markt, auf dem ich neben Gemüse auch ein frisch gegrilltes Hähnchen „fermier“ (vom Bauernhof) erstehe. Beim Essen denken wir an meinen Vater, für den ein „Güggele vom Schappeler“ ein kleines Festessen war.
Freitag bis Samstag, 2.6. – 3.6.
Unsere Fahrt zur Kanalküste führt uns durch den Naturpark Armorique. Der entpuppt sich auf weite Strecken allerdings als Mondlanschaft. Wie wir nachlesen, hat hier im vergangenen Sommer ein Flächenbrand über 1700 Hektar des Waldes und – schlimmer, wegen des CO2-Ausstosses – der Torfmoore zerstört.
Unser nächster Campingplatz liegt am westlichen Rand der berühmten rosa Granitküste und an einer Bucht, im Örtchen Trégastel. Als wir ankommen, denken wir auch erstmal an Mondlandschaft, aber hier ist es einfach die Ebbe. Die Kanalküste wird von den Gezeiten dominiert. Der Tidenhub ist hier so groß, dass es nicht eine, sondern zwei Landschaften gibt. Bei Ebbe kann man durch die ganze Bucht laufen, bei Flut tummeln sich die Fischerboote und die Surfer. An der Rezeption hängt eine aktuelle Gezeitentabelle mit den Zeiten für Ebbe und Flut sowie den Wasserständen. Die variieren von Tag zu Tag, und man kann sehen, dass der Tidenhub zwischen 4,5 und 7,5 Metern schwankt. Dass 7 m mehr oder weniger Wasserstand einen Unterschied machen, leuchtet ein.
(Claus:) Ich genieße im Camping-Restaurant ein typisch französisches Essen: „Fish & Chips“
Übrigens geht die Sonne hier um diese Jahreszeit erst gegen 22:30 unter. Die Abende sind lang und schön – aber momentan leider viel zu kalt, um draußen sitzen zu können.
Sonntag, 4.6.
Wir fahren der Kanalküste entlang weiter östlich bis Saint-Malo. Wir haben einen Campingplatz zwischen der berüchtigten Corsaren-Stadt und dem Austerndorf Cancale gefunden. Der Platz ist riesig und komplett belegt. Das erweist sich als Glücksfall. Wir landen statt dessen auf einem sympathischen familiengeführten Campingplatz, der direkt an ein Naturschutzgebiet grenzt. Mit dem Rad sind es 5 Minuten zum Meer und jeweils etwa 5 Kilometer nach Saint Malo und nach Cancale.
Cancale befindet sich am östlichen Rand einer großen Bucht, in der auch der berühmte Klosterberg Mont Saint Michel liegt. Den erkennt man sogar im Dunst – ebenso wie das gegenüberliegende Ufer der Bucht, das bereits zur Normandie gehört. In der Bucht ist der Tidenhub so hich wie nirgendwo sonst und liegt derzeit bei etwa 10 Metern. Die enromen Wassermassen, die hier viermal täglich ein- und ausströmen, werden für die Austernzucht genutzt. Vor Cancale liegen fußballfeldgroße Austernbänke, und frischer als hier kann man Austern nicht genießen. Wenn man sie denn mag. Wir diskutieren, ob wir sie probieren sollten, wenn wir schon mal hier sind, und entscheiden uns dagegen. Nichts gegen Fisch und Meerestiere, aber doch lieber tot und am besten gekocht. Viele Franzosen aber schlemmen die Austern direkt auf der Hafenmauer.
Montag, 5. Juni
Saint Malo erreicht man mit dem Rad in einer guten halben Stunde. Die Altstadt wird „Intra Muros“ genannt, und das ist sie auch: umschlossen von einer gigantischen, zwei Kilometer langen (Festungs)Mauer, auf der man komplett um die Stadt herumspazieren kann. Mit der Festungsanlage (erbaut von Frankreichs berühmtestem Festungsbauer Vauban) trotzten die stolzen Malouiner allen Angriffen. Gegen die Bombardements der Amerikaner im zweiten Weltkrieg nützten die meterdicken Mauern allerdings nichts. Die Amerikaner befreiten Saint Malo gegen erbitterten Widerstand von deutscher Besatzung und zerstörten dabei die Altstadt zu 85%. Nach dem Krieg wurde sie nach alten Plänen originalgetreu wiederaufgebaut.
Weil gerade Ebbe ist, kann man auf ein vorgelagertes Inselchen spazieren, auf der der Schriftsteller und Politiker Chateaubriand begraben werden wollte (und wurde). Ehrlich gesagt, kannten wir Chateaubriand eher vom gleichnamigen Rindersteak, aber tatsächlich begründete er die französische Romantik. Der Rundgang um die Stadt ist fast interessanter als der Gang durch das Städtchen, das seinen Reichtum vor allem im 16. Jahrhundert durch Handel (unter anderem Sklavenhandel) und Freibeuterei erlangte. Die „Corsaren“ aus Saint Malo besaßen einen Freibrief des Königs und überfielen in dessen Namen englische und holländische Handelsschiffe. Piraterie mit königlicher Erlaubnis also. Vor lauter Stolz rief Saint Malo im 16. Jahrhundert sogar kurz mal eine eigene Republik aus. Auch heute noch verstehen sich die Maloiner als etwas Besonderes: „Ni Français, ni Breton, Malouis suis“ (Ich bin kein Franzose, kein Bretone, sondern Malouiner). Die verwegene Vergangenheit der Corsaren hingegegen taugt heute vorwiegend noch zu Dekorationszwecken.
Camping kann auch Begegnungen mit interessanten Menschen ermöglichen. Auf dem Campingplatz in Trégastel waren wir im Restaurant mit Annette und Christian aus Nordfriesland ins Gespräch gekommen. Die beiden fahren das gleiche Wohnmobil wie wir, einen Tourne, was ja recht selten ist. Und wie es der Zufall will, sind wir hier wieder auf dem gleichen Campingplatz gelandet. Unabgesprochen. Als sie gerade von ihrer Tagestour zurückkommen, laden wir sie spontan ein, mit uns zu Abend zu essen. Wie gut, wenn man immer so viel kocht, dass es auch für den nächsten Tag noch reicht; oder für zwei Mitesser. Wegen der Temperaturen ist der Abend zwar nicht gerade lauschig, aber sehr nett und lustig. Die beiden betreiben eine kleine Kaffeerösterei und beglücken uns mit einer Packung vom eigenen Kaffee. Der übrigens wirklich lecker ist.
Mittwoch, 7. Juni
Heute verlassen wir die Bretagne wieder. Nach einem weiteren Abstecher am Hafen vom Austernstädtchen Cancale fahren wir zu den Landungsstränden in der Normandie.
Was wir erst beim Nachlesen realisieren ist, dass sich der Tag der Alliierten-Landung, der sogenannte D-Day am 6.Juni 1944 gestern zum 79. Mal gejährt hat. Der D-Day wird jedes Jahr feierlich begangen und begleitet von einer Vielzahl von Veranstaltungen, alles nachzulesen unter www.ddayfestival.com. Dafür reisen jedes Jahr viele Touristen an, neben Franzosen vor allem Amerikaner und Briten.
Wir finden einen Campingplatz direkt am Omaha Beach, einem der Landungsstrände. Auf dem Campingplatz sehen wir mehrere historische Armeefahrzeuge und Armeezelte. Dass die Stimmung uns hier etwas bedrückend vorkommt, liegt wohl vorwiegend am Wetter. Es ist diesig, fast schon neblig, das Licht ist diffus, und es weht ein kräftiger, kalter Wind vom Meer. Wir machen einen Spaziergang zum Strand und verziehen uns recht schnell ins Wohnmobil.
Donnerstag, 8. Juni
Wir besichtigen eines von mehreren Museen im der Gegend, das sich dem Thema der Alliierten-Landung und der Befreiung Frankreichs von deutscher Besatzung widmet. Das Museum ist zwar nicht gerade auf dem neusten Stand, was die Präsentation angeht, aber es zeigt mit einer Fülle historischer Exponate, wie die Franzosen unter der Besatzung lebten, wie die Alliierten die Landung planten, was bei der Ausführung schief ging, und wie sich dann der Kriegsverlauf änderte.
Richtiggehend beklemmend sind Fotos und Berichte von den Soldaten bei der Landung. Im besten Fall kamen sie seekrank und klatschnass am Strand an und überlebten den gegnerischen Beschuss. Viele jedoch ertranken, weil sie in zu tiefem Wasser ausgesetzt wurden und mit ihrer schweren Ausrüstung nicht schwimmen konnten. Oder sie warfen die Ausrüstung ab und erreichten den Strand ohne Waffe, Verpflegung, etc. Man kann gut nachvollziehen, dass Angehörige auch heute noch der Opfer gedenken, die hier gebracht wurden.
Einen noch tieferen Eindruck vom Ausmaß der Opfer bekommen wir beim Besuch des amerikanischen Soldatenfriedhofs von Omaha Beach. 10000 Soldaten sind hier bestattet, das ist ein Meer von weißen Kreuzen. Auf einigen stehen keine Namen. Wir sehen französische Schulklassen und viele Amerikaner. Von den D-Day-Feierlichkeiten liegen noch Kränze und Gestecke am Memorial, unter anderem auch eines vom deutschen Botschafter. Vor eineinhalb Jahren hätten wir noch gesagt, wie froh wir sind, dass so etwas zumindest im Europa nicht mehr vorkommt. Jetzt passiert das Gleiche wieder. Mitten in Europa.
Eigentlich wollten wir noch das Städtchen Bayeux besuchen, aber nach diesen Eindrücken ist uns nicht nach weiteren Besichtigungen zumute. Wir fahren weiter zur „Alabasterküste“, etwas nordöstlich von Le Havre. Zwischen Honfleur und Le Havre überqueren wir die Seinemündung auf der imposanten Normandiebrücke (Le Pont de Normandie). Die größte Schrägseilbrücke Europas hat eine Spannweite von 854 Metern und lässt eine Durchfahrtshöhe von 52 Metern (bei höchstem Wasserstand). Auf der Seite von Le Havre gibt es im Anschluss noch ein weiteres Viaduct, das sich wie eine Achterbahn über den Seine-Kanal windet.
Unser nächster Campingplatz liegt auf den Klippen beim Dörfchen Yport. Die Landschaft ist hier wie in Südengland. Sanfte Hügel brechen abrupt an den Klippen ab. Oben grün, unten weiß. Die Orte schmiegen sich in Flußtäler, die sich tief in die Klippen engeschnitten haben und in schönen Buchten enden. Von unserem Platz aus blicken wir aufs Meer und die Klippen. Trotz des Windes hält man es gut draußen aus.
Freitag-Samstag, 9.-10. Juni
Étretat ist ein Küstenstädtchen rund 10 Kilometer westlich von uns und verfügt über die spektakulärsten Felsen der Normandie. Östlich des Seebades liegt der Felsbogen Porte D’Aval, der manche an einen Elefantenrüssel erinnert, und direkt daneben eine Felsnadel; westlich wird die Bucht vor Étretat vom Felsbogen La Manneport begrenzt. Die Felsen der Alabasterküste bestehen aus Kreide und Feuerstein und sind recht porös. Von den Gesteinsbrocken, die sich von den Felsen gelöst haben, wird die Kreide herausgespült. Meerwasser und Brandung schleifen die übriggebliebenen Feuersteine zu runden Kieseln, aus dem die Strände bestehen. Das schlurfende Geräusch des Wassers am Strand ist sehr meditativ.
Die spektakuläre Aussicht auf den elefantösen Felsbogen von Aval hat viele Maler im 19. Jahrhundert inspiriert, allen voran Claude Monet, der die Felspforte von einem Aussichtspunkt gegenüber immer wieder gemalt hat. Eine berühmte französische Schauspielerin der Belle Époque, Madame Thébault, ließ sich von Monets Lieblingsplatz Anfang des 20. Jahrhunderts zur Anlage eines Gartens inspirieren.
Dieser Garten wurde 2015 vom Landschaftsarchitekten Alexandre Grivko neu gestaltet zu – ja zu was eigentlich? Der neue Park ist ein einziges Kunstwerk aus kunstvoll geschnittenen Pflanzen, die zusätzlich die Kulisse für mehrere Kunstobjekte bilden. Man wandelt durch eine Phantasiewelt, in Grün, sanft beschallt durch sphärische Klänge. Ob das Projekt nun neofuturistisch ist, wie behauptet wird, sei dahingestellt. Der Ort mit Monets Blick auf den Felsbogen ist jedenfalls in der Gegenwart angekommen.
Sonntag-Montag, 11.-12.Juni
Auf dem Weg Richtung Osten machen wir Halt in Amiens, der Hauptstadt der Picardie. Nach ein bisschen Hin und Her landen wir auf einem Campingplatz, der am Stadtrand in einem Parkgelände an der Somme liegt. Mit dem Rad kann man dem Fluß entlang bequem und unter Bäumen bis ins Zentrum fahren.
Die Kathedrale von Amiens ist schon von weitem sichtbar. Kein Wunder, sie ist auch die größte mittelalterliche Kathedrale Frankreichs, innen etwa doppelt so groß wie Nôtre Dame. Sie wurde in relativ kurzer Bauzeit zwischen 1220 und 1270 errichtet und ist deshalb stilistisch sehr homogen, ein Beispiel für die französische Hochgotik. Beeindruckend ist die Größe und Höhe des Mittelschiffes, das 145 Meter lang und 42 Meter hoch und wegen der großen Fenster im oberen Bereich lichtdurchflutet ist. Die Stützpfeiler wirken trotz ihrer Dimensionen geradezu filigran, weil sie als sogenannte Bündelpfeiler gestaltet sind.
Markant ist ein Fries an der Außenwand des Chorraumes, auf dem die Geschichte des Märtyrers Firmin, des Stadtheiligen von Amiens, dargestellt ist. Der Fries besteht aus acht Rahmen, in denen dreidimensionale Figuren die Geschichte szenisch darstellen. Die Figuren sind vollkommen realistisch dargestellt, mit individuellen Gesichtsausdrücken und Körperhaltungen. Wie ein mittelalterlicher 3-D-Comic.
Amiens ist eine lebendige Stadt mit vielen Studenten. Radfahrer haben überall Vorrang und dürfen sogar in Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung fahren.
In einem Feuchtgebiet am Rande der Stadt wurden schon im Mittelalter künstliche „schwimmende“ Gärten für den Obst- und Gemüseanbau angelegt. Heute sind die sogenannten Hortillonages liebevoll gepflegte Kleingärten – und eine Touristenattraktion.
Dienstag, 13. Juni
Wir fahren durch Belgien an die niederländisch-deutsche Grenze, ganz in der Nähe von Mönchengladbach, wo wir morgen Dagmar und Herbert besuchen möchten, die wir in Tarifa kennengelernt haben. Eigentlich wollen wir einen Stopp in Maastricht machen, aber alle Camping- und Stellplätze sind belegt. Wir fahren deshalb weiter bis in die Nähe von Roermond, wo wir einen wunderbaren idyllischen kleinen Campingplatz bei einem Bauernhof finden.
Mittwoch bis Freitag, 14. – 16. Juni
Dagmar und Herbert bewirten uns nicht nur vorzüglich, sondern bemühen sich, uns die schönen Ecken des Niederrheins zu zeigen. Auf einer Radtour fahren wir durch wunderbare Wälder und entlang des Flüsschens Schwamm, an dessen naturbelassenen Ufern mehrere alte Mühlen stehen.
Am nächsten Tag machen wir einen Ausflug nach Düsseldorf und bestaunen das architektonische Ensemble des Medienhafens. Von Helmut Jahn bis Frank Gehry haben weltweit bekannte Architekten markante Hotels, Büro- und Wohngebäude geplant.
Auffällig ist, wie gut dieses ja eigentlich künstlich angelegte Areal von den Menschen angenommen wird. Überall flanieren Leute, trotz der Hitze. Abends ist der Medienhafen wohl ein besonders beliebter Aufenthaltsort.
Freitag bis Montag, 15. – 18.6
Auf dem Weg zu Eva und Micha nach Köln machen wir eine. Abstecher zur Kohletagebau Hambach. Wenn man das gigantische Loch in der Landschaft nicht live gesehen hat, glaubt man es nicht. Die riesigen Schaufelradbagger wirken wie Spielzeuge. Der größte ist übrigens 96 Meter hoch (!) und kann 240.000 Tonnen Abraum baggern. Täglich! Ende 2034 ist jedenfalls Schluss mit Braunkohleabbau, danach soll das Gelände renaturiert werden.
Nach einem weiteren Besuch Köln bei Eva und Micha, die wir ebenfalls in Tarifa kennengelernt haben, fahren wir nach Refrath zu einem Familientreffen. Sonntag geht es dann endgültig wieder Richtung Bodensee, bei vollen Autobahnen und mindestens 30 Grad Hitze. Wir sind mal wieder froh, dass wir alles „an Bord“ haben und die überfüllten Autobahnraststätten meiden können. Wir übernachten ein letztes Mal bei Freunden nähe Singen und sind am Montag wieder zuhause. Unser Wohnmobil ist super bei allen Temperaturen, außer bei großer Hitze. Dann kühlt es nachts gar nicht mehr ab. Jetzt freuen wir uns auf unser Häuschen, in dem es angenehm kühl bleibt.
Wir ändern mal wieder unsere Reiseroute. Ursprünglich wollten wir von Sevilla aus nördlich durch die Extremadura und Kastilien fahren. Aber es ist um diese Jahreszeit einfach noch nicht warm genug für diese Route, die durch Berge und über die Hochebene Meseta führt. Deshalb entscheiden wir, einen Schlenker nach Osten zu machen und auf der Mittelmeer-Route nach Hause zu fahren. Von unseren diversen Reisebekanntschaften haben wir gute Tipps für die Gegend bekommen.
Unser erstes Ziel ist das Städtchen Antequera, ca. 50 km nördlich von Malaga. Wir fahren bis Utrera (und damit einmal um Sevilla herum) auf der Autobahn und danach auf Landstraßen. In Antequera gibt es keinen Campingplatz, aber angeblich einen Stellplatz bei einem Hotel-Restaurant. Den fahren wir an und essen erstmal dort (übrigens sehr lecker!). Aber der Stellplatz gefällt uns gar nicht, und wir fahren weiter zu einem Wanderparkplatz in den Bergen. Unterwegs verfransen wir uns in der Altstadt, und Claus muss ein waghalsiges Wendemanöver hinlegen. Als wir die engen Altstadtgässchen endlich hinter uns gelassen haben, entdecken wir einen Stellplatz oberhalb des Städtchens, auf dem bereits mehrere Wohnmobile stehen. Es gibt zwar keinerlei Infrastruktur, aber dafür einen gigantischen Blick. Wir disponieren sofort um – und zum Wanderparkplatz können wir auch morgen noch fahren.
Antequera entpuppt sich als kleines Schätzchen, mit maurischer Festung und mehreren Renaissance-Kirchen. Von der Festung aus hat man einen phantastischen Blick in alle Richtungen.
Freitag, 3.3.
Das Wunderbare an unserer Art zu reisen, ist, dass man immer wieder Überraschungen erlebt. Antequera hatten wir ursprünglich gar nicht auf dem Schirm und sind eher zufällig hier gelandet. Es gibt drei megalithische Dolmengräber, von denen wir schon gehört hatten. OK, Dolmen sind normalerweise nicht unsere oberste Priorität, aber nachdem wir ja schonmal hier sind, kann man sie sich ja auch anschauen. Aufgefallen ist uns allerdings schon bei der Anfahrt auf die Stadt ein einzelner Berg in Form eines nach oben gewandten Gesichts, der sich abrupt aus der Ebene erhebt. Wie sich herausstellt, gehören der Gesichts-Berg, die drei Dolmengräber sowie ein weiterer Berg zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Einer der Dolmen (Viera) ist auf die Sonne ausgerichtet. Das ist, wie wir lernen, typisch für Grabanlagen dieser Art. Jeweils zur Tag- und Nachtgleiche bei Sonnenaufgang erhellen die Sonnenstrahlen den Eingang bis zur Grabkammer. Die Kammer selbst bleibt immer im Dunkeln.
Die Öffnung des 6000 Jahre alten Dolmen Menga hingegen, ist genau auf den Berg La Peña mit dem nach oben gewandten Gesicht ausgerichtet. Dieser Dolmen ist absolut spektakulär, weil er aus gigantischen Steinplatten besteht, die die Wände und Decken bilden und von weiteren Steinplatten in der Mitte als Säulen getragen werden. Diese Kolosse wiegen bis zu 180 Tonnen und sind zu perfekten Fugen zusammengefügt. Wie das vor 6000 Jahren ohne nennenswerten Werkzeuge gemacht wurde, bleibt ein Rätsel.
Die Öffnung des dritten Dolmen El Romeral fängt das Sonnenlicht zur Tag- und Nachgleiche um die Mittagszeit ein und ist gleichzeitig auf den höchsten und markantesten Berg der Gegend, den 20 km entfernten El Tocal, ausgerichtet.
Ein Cambridge-Professor für Archäoastrologie, Michael Hoskin, hat die Besonderheit von Antequera erkannt und herausgearbeitet. Nirgendwo sonst nämlich sind die megalithischen Bauwerke auf terrestrische Punkte (wie im Falle des Menga) oder gar auf die Sonne UND auf einen Punkt auf der Erde (wie beim El Romeral) ausgerichtet. Hoskins Expertise hat die UNESCO-Kommission 2017 dazu bewogen, das Ensemble in die Weltkulturerbe-Liste aufzunehmen.
Die Festung Alcazaba wirkt im Vergleich zu den Dolmen fast ein bisschen unspektakulär. Sie ist aber riesig und wurde im 14. Jahrhundert von den Mauren auf römischen Ruinen errichtet, um die Stadt gegen die Angriffe der Katholiken zu verteidigen. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass das ganze Gelände dezent mit Gitarrenmusik beschallt wird.
Direkt neben der Festung steht die spätgotische/Renaissance-Kirche La Colegiata mit schöner Holzdecke im Mudejar-Stil.
Samstag, 4.3
Unser heutiger Ausflug zum Berg El Torcal scheitert. Als wir gegen 12:30 Uhr am unteren der beiden Wander-Parkplätze ankommen, ist alles restlos überfüllt. Wir kehren unverrichteter Dinge wieder um und kümmern uns statt dessen um unsere Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Einkaufen). Danach gehen wir Mittag essen, und am Nachmittag drehe ich noch eine kleine Runde vom Stellplatz aus. Wie sich herausstellt, kann man hier überall wunderbar wandern, und von überall gibt es schöne Blicke in die Gegend.
Den El Torcal nehmen wir uns für morgen vor, und zwar, laut einer Empfehlung unserer Stellplatz-Nachbarn – für den späten Nachmittag.
Sonntag, 5.3.
Als wir aufwachen, hängt ein Zettel unserer Paderborner Nachbarn an der Windschutzscheibe. Wie reizend!
Der Wetterbericht stimmt heute überhaupt nicht. Statt der angekündigten Sonne gibt es Wolken, später sogar Regen. Claus hat wieder eine schreckliche Husten-Nacht hinter sich und fühlt sich gar nicht gut. Den Ausflug zum El Torcal verschieben wir auf unseren nächsten Besuch (und wir kommen wieder! Allein der Stellplatz lohnt einen Besuch).
Während sich Claus von der Nacht erholt, laufe ich nochmal ins Städtchen und besuche das städtische Museum. Das zeigt in einem schönen Renaissance-Palast einen geschichtlichen Abriss von der Steinzeit bis zur Renaissance. In den oberen Stockwerken sind diverse Maler ausgestellt. Sehr nett gemacht alles, aber ein bisschen Sammelsurium. Immerhin wird die Lebensweise, Sesshaftwerdung und Spezialisierung der Dolmenbauer genauer erklärt.
Und dann kommt wieder so ein unerwarteter Aha-Moment. Die Räume im obersten Stockwerk (ich überlege noch kurz, ob ich überhaupt bis ganz nach oben laufen soll) sind einem Künstler namens Cristobal Toral gewidmet, der in Antequera aufwuchs, und dessen Bilder in den wichtigen Museen auf der ganzen Welt vertreten sind. Er malt realistisch, seine Sujets sind inszenierte Szenen, die oft mit Reisen, mit Flucht und mit Verlassensein zu tun haben. Das Sinnbild für die moderne Welt, in der die Menschen unterwegs oder auf der Flucht sind wie selten zuvor, ist für ihn der Koffer. Immer wieder hat er Berge von Koffern gemalt oder hat sie zu Installationen zusammengefügt. Ich hatte noch nie von ihm gehört, aber für mich ist Toral eine echte Entdeckung.
Montag, 6.3.
Unser Ziel heute ist 450 km entfernt. Wir peilen für heute einen kleinen Campingplatz bei Sax an, ca. 50 km nördlich von Alicante. Da haben wir schon auf dem Hinweg übernachtet und fanden es sehr idyllisch. Die Betreiber des Platzes sind ein englisch-französisches Paar, das uns damals sehr herzlich empfangen hatte.
Die Fahrt dorthin ist eine der schönsten auf unserer Reise. Wir fahren an Granada vorbei und die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada im Hintergrund.
Zwischen Granada und Guadix tauchen immer wieder bizarre Felsformationen auf. Wir wollen heute weiterkommen, aber beim nächsten Mal werden wir hier länger bleiben.
Ohne Stau erreichen wir unser Ziel und werden von Sharmaine, der Engländerin, überschwänglich begrüßt. Das hat nichts damit zu tun, dass sie sich an uns erinnert, sie ist einfach immer so. Der Platz liegt in einem weiten Tal, ist umgeben von Olivenplantagen und einfach, aber sehr reizend gestaltet. Nicht nur die Stellplätze sind überaus großzügig, sondern es gibt auch eine große „Gemeinschaftsfläche“ in der Mitte, mit Pool und mehreren Tischgruppen. In einem Häuschen haben die beiden umfangreiches Informationsmaterial über Bäume und Vögel der Gegend, über Wander- und Bikerouten zusammengestellt, das Ganze viersprachig.
Dienstag, 7.3.
Wir waschen Wäsche, machen online-Banking, und nachmittags drehe ich eine kleinere Runde als ich mir eigentlich vorgenommen hatte. Die mache ich dann morgen. Dafür ist der Blick ins Tal sehr schön.
Es lohnt sich auch nachts mal rauszuschauen, besonders wenn gerade die UFOs kommen:
Mittwoch, 8.3.
Unsere morgendliche Croissant-Bestellung klappt heute nicht, was aber eigentlich unser Fehler ist. Die reizende Campingbetreiberin Sharmaine entschuldigt sich trotzdem mehrfach und wortreich und kommt schließlich mit zwei Eiern als Entschädigung vorbei.
Wir fahren mit den Rädern nach Sax, wo es aber nicht viel zu entdecken gibt. Dafür essen wir in einer sehr authentischen spanischen Beiz zu Mittag, in der außer uns nur ältere spanische Herren vor ihren Weingläsern sitzen und neben uns zwei auffällig gestylte Damen, von denen wir nur vermuten können, welchem Gewerbe sie angehören. Die beiden konsumieren beachtliche Mengen Bier und Wein und telefonieren lautstark mit ihren Handys.
Auf dem Rückweg trennen wir uns, weil ich noch einkaufen gehe und Claus gleich heim will. Er verfährt* sich so, dass er Angst hat, in den Olivenhainen elendiglich zu verenden. Tatsächlich ist er nur 150 Meter an der Einfahrt des Campingplatzes vorbeigefahren. Jedenfalls sitzt er wohlbehalten am Platz, als ich vom Einkaufen komme.
*(Claus): Ich möchte die Situation nochmals richtigstellen: Es herrschten fast unerträgliche 20 Grad. Ich hatte keinerlei Lebensmittel und nur 0,5l Wasser dabei. Umgeben von Millionen von Olivenbäumen, hatte ich weder den Namen des CP noch die Koordinaten. Nur meinem ausgeprägtem Orientierungssinn und eisernen Überlebenswillen ist es zu verdanken, dass ich die 150m zurückfuhr und somit das, nur von einer Seite beschriftete, Schild zum CP sehen konnte! So selbstverständlich wie Jeannine dies beschrieben hat, war es ganz sicher nicht. (😄👍🏻)
Donnerstag, 9.3.
Ich mache eine wunderbare Wanderung um den nächstgelegenen Berg herum. Es ist eine der Touren, die im Infomaterial auf dem Campingplatz beschrieben wird, und ich habe tolle Ausblicke in alle Richtungen. Leider ist das Licht heute nicht so schön.
Wir checken schon am Abend aus, damit wir am nächsten Morgen gleich weiterkommen. Ich plaudere noch mit Charmaine und erfahre, dass sie und ihr Mann in England eine eigene Firma hatten. Die Übernahme des Campingplatzes war eine bewusste Entscheidung, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Weniger Stress, mehr Leben. Der Campingplatz hat nur 16 Plätze und ist überaus preiswert. Reich wird man damit nicht, aber genau darum geht es den beiden auch nicht. Ich verspreche, dass wir wiederkommen werden, und wir verabschieden uns mit Küsschen.
Freitag, 10.3.
Heute fahren wir nur etwa 150 Kilometer, aber vorwiegend Landstraße und nach Norden. Das erste Stück ist noch Autobahn, führt durch eine Ebene und ist mühsam zu fahren, weil es stürmt. An einer Stelle fahren wir in eine richtige Sandwolke.
Bei Almansa biegen wir auf die Nationalstraße N330 ab und fahren durch ein Tal nach oben auf die kastilische Hochebene bis nach Requena. Die Felsen changieren zwischen ocker-dunkelrot und ocker-türkis, und die Oliven-, Mandel- und Apfelbäume stehen stramm in Reih und Glied.
Von Requena aus fahren wie zu einem Campingplatz, der unterhalb eines Stauwerks liegt. Die Rezeption ist in einer ehemaligen Poststation aus dem 16. Jahrhundert untergebracht, die Plätze liegen mehr oder weniger im Wald. Bei einer ersten Besichtigung flitzt doch tatsächlich ein Rudel Steinböcke über den Stellplatz. Wir können es gar nicht glauben, aber sie tauchen immer wieder auf, auch beim Wandern. Leider sind sie in der Regel schneller weg als man das Handy zücken kann.
Die Gegend ist das Resultat einer tektonischen Auffaltung, in die das Flüsschen Cabriel mäandernde Schleifen gegraben hat. Die aufgefalteten Felsen sind über die Jahrmillionen zu scharfen Felsnadeln erodiert, die nicht zu Unrecht „Messer“ genannt werden. Diese „Cochillos de Contreras“ sind nur 4 km auf einem gemütlichen Wanderweg entfernt.
Samstag, 11.3.
Heute fahre ich mit dem Rad am Stauwerk vorbei durch das ziemlich verlassene Dorf Contreras zu einem Wanderparkplatz.
Vermutlich war das früher die Hauptverkehrsroute Richtung Valencia, bevor die Autobahn gebaut wurde. Im Dorf wittern diverse öffentliche Gebäude vor sich hin, dahinter ragt die Ruine einer ehemaligen Betonfabrik. Trotzdem sind einige der Reihenhäuser bewohnt. Wenn man absolute Ruhe und Steinböcke mag und nichts gegen eine ziemlich morbide Atmosphäre hat, ist das ein guter Wohnort.
Vom Wanderparkplatz aus starte ich eine kleine Tour, die in meiner Wander-App als „einfach“ beschrieben ist. Das ist sie auch, zumindest am Anfang. Es geht erst die Hochebene bergauf, aber dann immer steiler bergab auf bröckeligem Untergrund. Von hier sieht man jetzt die Felsmesser und den Fluß von oben. Ich mache noch ein Foto, und dann drehe ich um und stehe dazu, dass ich ein Angsthase bin („Du Schisser“, wie meine Nichte Toni zu sagen pflegt).
In der Nähe des Parkplates kann man Schützengräben besichtigen. Sie stammen ais dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts (1808 – 1814). Erschütternd ist, dass sich Schützengräben bis heute nicht verändert – und dass sie heute noch benötigt werden.
Sonntag, 12.3.
Heute fahre ich mit dem Rad nochmal zu den Cochillos und ein Stückchen darüber hinaus. Dann lasse ich das Rad stehen und wandere hoch zu einem Aussichtspunkt. Ich dachte eigentlich, dass man von dort auf die Schleifen des Flüsschens sehen könnte. Kann man aber nicht. Dafür gibt es andere Ausblicke, und ich sehe die Felsmesser von der anderen Seite.
Die Gegend ist einfach schön, egal wo man wandert oder fährt.
Montag, 13.3.
Unser heutiges Etappenziel ist nur 200 km entfernt, aber wir haben das Gefühl, dass wir Eindrücke für mehrere Tage sammeln.
Auf Landstraßen fahren wir in die Kleinstadt Teruel, die berühmt ist für ihre gut erhaltene Mudejar-Architektur. Mudejaren wurden die Muslime genannt, die nach der Reconquista unter katholische Herrschaft kamen. Unter ihnen waren viele Handwerker und Baumeister, die nach der Rückeroberung für die neuen christlichen Herren bauten. Daraus entstand ein einzigartiger Stilmix aus islamischen Baumaterialien und Stilen mit gotischen und später Renaissance-Elementen. In Teruel ist die mittelalterliche Mudejar-Architektur ebenso vertreten wie Neo-Mudejar vom Anfang des 20. Jahrhunderts und einige ausnehmend schöne Jugendstilgebäude.
In Spanien ist der Unterschied zwischen Stadt (oder Dorf) und Land meistens richtig krass. So auch auch auf unserer Fahrt heute. Wir fahren durch menschenleere, karge, weite Landschaften, teilweise landwirtschaftlich genutzt, teilweise nicht. Dann kommt eine Stadt, in dem Fall Teruel. Sie beginnt ganz plötzlich und ist kompakt bebaut. Statt Einfamilienhaussiedlungen gibt es hier fast ausschließlich große Wohnblöcke, allenfalls enge Reihenhäuser. Wenn man wieder herausfährt, das Gleiche umgekehrt: erst Stadt, dann nichts. Und zwar gar nichts. Nur Hügel und Felsen in bizarren Formationen, Sand, Büsche. Dass nördlich von Teruel auch die landwirtschaftliche Nutzung weniger wird, mag an der Höhe liegen. Wir sind etwas überrascht, als wir feststellen, dass wir auf 1300 Metern sind.
Unser heutiges Übernachtungsziel ist Escucha, ein ehemaliges Bergarbeiterdorf, das sichtbar mit dem Strukturwandel zu kämpfen hat. Statt der Mine und Kohleverarbeitung gibt es nur noch ein Museum. Ehemalige Industriegebäude stehen wie Mahnmale in der Landschaft. Ihren Schmerz über den Verlust der Arbeitsplätze und ihres Berufs haben die Bewohner in eindrücklichen Graffitis festgehalten.
Dienstag, 14.3.
Heute ist ein reiner Fahrtag. Wir cruisen auf Landstraßen ca. 250 km weiter durch die unglaublichsten Landschaften. Von einer Kurve zur nächsten kann sich alles ändern. Wir fahren durch wüstenartige Gegenden, bei denen man geradezu erwartet, dass ein Cowboy um die Ecke geritten kommt.
Wir fahren durch Berge mit Pinienwäldern und an endlosen Plantagen mit blühenden Mandel- und Pfirsichbäumen vorbei.
Wir halten in einem Dorf namens Calanda, in dem ein riesiges Graffito von Filmemacher Luis Buñuel an einer Hauswand prangt. Wie sich herausstellt, war Calanda sein Geburtsort.
Wir fahren dem Fluß Ebro entlang, der sich tiefblau durch hohe, karge Berge windet und beim Dorf Mequienza gestaut wird.
Und wir fahren durch geschäftige und ziemlich häßliche Städte wie Lleida, bei denen wir froh sind, als wir sie endlich hinter uns lassen können.
Inzwischen sind wir in Katalonien angelangt und halten in einem Dorf namens Artesa de Segre. Auf dem Stellplatz neben uns steht ein riesiges Wohnmobil mit Anhänger und Konstanzer Nummer.
Wir machen einen Spaziergang ins Dorf, um einen Kaffee zu trinken, und treffen prompt die Nachbarn im Café. Sie sind schon seit einem halben Jahr in Spanien unterwegs und ebenfalls auf der Heimreise. Es ist ja immer wieder spannend zu hören, was andere interessiert und wo sie waren. Ralf und Petra haben ein Faible für Thermalquellen und gleich mehrere davon in Spanien gefunden. Besonders begeistert sind sie von einem Thermalsee in der Nähe von Guadix, der 38 Grad heißes Wasser hat „wie eine perfekt temperierte Badewanne“. Wir setzen den Thermalsee auf unsere Liste fürs nächste Jahr.
Mittwoch, 15.3.
Wir fahren rund 180 KM in nordwestliche Richtung auf Landstraßen zu dem kleinen Städtchen Olot, das in einem Naturpark mit Vulkankegeln liegt. Wir sind ja schon in den Vorläufern der Pyrenäen und fahren den Bergen entlang. Es sieht wieder ganz anders aus als in den Tagen zuvor, sozusagen „normaler“ für unseren mitteleuropäischen Blick. Wir werden an den Schwarzwald und die Vogesen erinnert, nur dass die Nadelbäume hier Pinien sind. Was uns immer wieder aufs Neue fasziniert, ist die unglaubliche Weite und Leere des Landes.
In Olot fahren wir auf einen Campingplatz, der beeindruckend ungepflegt ist. Aber wir werden geradezu überschwänglich herzlich vom Betreiber empfangen, der perfekt deutsch, aber dann auf meine Bitten auch spanisch spricht. Seinem jugendlichem Charme erliegen wir sofort und buchen für zwei Nächte. OK, ich geb‘s ja zu, ich erliege seinem Charme. Das Beste am Campingplatz (neben dem Betreiber) ist eine Bar, in der wir in der Sonne gemütlich ein Bier trinken.
Donnerstag, 16.3.
Heute ist ein Tag zum Ausruhen, bevor wir endgültig nach Hause fahren. Ich mache eine mittlere Wanderung um einen der Vulkankegel. Man läuft auf Pfaden durch Laubwälder, die momentan noch keine Blätter haben und deswegen auch ein bisschen Blick ermöglichen. Sehr idyllisch das Ganze. Ich orientiere mich wieder an meiner Komoot-App, aber die Wege sind hier alle gut ausgewiesen. Übrigens ist das überall so. Spanien ist super zum Wandern.
Abends trinken wir wieder unser Bierchen in der Bar. Das Spanien-Abschieds-Bierchen. Dabei treffen wir auf Eric, der Kutschfahrten im benachbarten Vulkangebiet anbietet und diverse Tourismus-Projekte verfolgt. Wir verstehen fast alles, was er uns auf spanisch erzählt. Fast…
Freitag, 17.3.
Ein bisschen wehmütig verlassen wir Spanien. Während wir die letzten Male an einem Tag durch Frankreich durchgefahren sind, machen wir dieses Mal einen Zwischenstopp. Ich habe einen Stellplatz nähe Nîmes, genauer am Pont du Gard, herausgesucht. Bisher sind wir immer nur daran vorbeigefahren.
Der Pont du Gard ist mit 49 Metern das höchste Brückenbauwerk der Römer. Er ist Teil eines 50 Kilometer langen Aquädukts, mit dem Wasser von einer Quelle bei Uzés nach Nîmes transportiert wurde. Die Wasserleitung führte über mehrere Brücken und durch mehrere zum Teil gewundene Tunnel. Trotz des geringen Höhenunterschieds von nur 12 Metern auf die 50 Kilometer flossen 35.000 Liter Wasser durch das Aquädukt, d.h. rund 400 Liter pro Sekunde.
Der Pont du Gard war also Teil einer beeindruckenden römischen Ingenieursleistung. Es ist ein gewaltiges Bauwerk, das mit 6 Meter tiefen Pfeilern im Fels des Flusses Gard verankert ist. Trotzdem wirkt die Brücke geradezu elegant. Die oberste der drei Ebenen (in der auch das Wasser floss) sitzt wie ein Hohlstichsaum auf den beiden unteren Ebenen mit ihren mächtigen Pfeilern.
Samstag, 18.3.
Auf Landstraßen fahren wir zu unserem nächsten Stellplatz in Aix-les-Bains, ca. 70 km vor Genf. Diese Strecke sind wir nun schon mehrmals gefahren, auch schon mit unserem Wohnwagen. Aber bisher immer nur auf der Autobahn. Die Fahrt über Landstraßen dauert zwar 6 Stunden (für 270 km), aber wir lernen die Gegend völlig neu kennen. Es geht durch idyllische provencalische Dörfer, das Rhonetal hoch durch das Département Drôme und über das Massif Chartreuse. Die Fahrt ist abwechslungsreich, auch wenn wir bekennen müssen, dass uns die Weite Spaniens ein wenig fehlt. Wir müssen ein bisschen umdenken.
In Aix-les-Bains haben wir bisher immer nur im Winter übernachtet und sind meistens im Dunkeln angekommen. Jetzt ist die Uferpromenade voller Menschen, die die Frühlingssonne genießen.
Sonntag, 19.3.
Unser letzter Tag. Passenderweise ist es trüb und regnet. Jetzt wollen wir nur noch schnellstmöglich nach Hause und verzichten auf die Landstraßen. Es klappt alles wie am Schnürchen. Sogar einen Stau vor Zürich können wir dank einer Routenalternative des Navis umfahren. Um 16 Uhr sind wir wieder zuhause, das Haus steht noch, und wir schaffen es, das Wohnmobil auszuladen, bevor der nächste Regenschauer einsetzt.
Jeannine: Die Woche beginnt am frühen Montag morgen mit einem krachenden Gewitter. Es donnert so heftig, dass wir aus dem Schlaf schrecken. Danach folgt sturzflutartiger Regen. Zur gleichen Zeit hagelt es in Tarifa, und die Wohnmobilstellplätze werden teilweise überflutet. Unsere Spanischlehrerin Bea zeigt Fotos von Hagelhaufen, die aussehen wie Schnee und kann es gar nicht fassen, dass so etwas in Tarifa vorkommt. Radfahren ist heute nicht, weil es auch tagsüber schüttet und stürmt. Claus fährt mich und holt mich auch wieder ab.
Ich bin wieder in meiner „alten“ Klasse. Inzwischen ist noch Nadja dazugestoßen, eine Italienerin, der Spanisch naturgemäß leicht fällt. Sie wohnt in der Nähe von Bologna und arbeitet in einem Kulturzentrum, das sich dem italienischen Partisanenkampf während des zweiten Weltkriegs widmet. Da wir nebeneinander sitzen, ist sie meine neue Partnerin bei den Sprachübungen.
Claus hat auf dem Campingplatz ein Ehepaar aus Mönchengladbach kennengelernt. Die beiden, Herbert und Dagmar, nehmen uns am Mittwoch Nachmittag mit dem Auto auf eine kleine Exkursion mit in die Berge oberhalb von Bolonia. Da war ich auch schon mal mit dem Fahrrad gewesen und hatte die Aussicht bewundert. Diesmal geht es noch ein Stückchen höher, und der Fokus liegt im Himmel. Wir bewundern eine ganze Truppe von Gänsegeiern, die majestätisch über uns kreisen und in den Felsen am Nestbauen sind. Wir bleiben über eine Stunde da oben, und es ist wie Meditation. Die Geier kreisen, der Himmel ist blitzeblau, und die Aussicht grandios.
Danach gibt‘s noch eine Tasse Kaffee und eine Verabredung zum Pizzaessen.
Am Donnerstag macht die ganze Schule (wobei wir momentan nur 9 Schüler sind) eine Exkursion zum Kastell von Tarifa. Schulleiter Gaspar erklärt uns sachkundig die historischen Hintergründe und führt uns durch die Räumlichkeiten. So erfahren wir, dass das Kastell bis in die 1930er Jahre direkt ans Meer angrenzte, und der Zugang zur Stadt durch eines der Tore führte. Erst dann wurde der Hafen gebaut, der heute vor dem Kastell liegt.
Das Kastell selbst wurde nach der Eroberung Tarifas im 10. Jahrhundert von den Mauren gebaut. Nach der Rückeroberung durch die Christen 1292 wurde ein (maurischstämmiger) Statthalter namens Guzman in der Burg eingesetzt. Bei einem Angriff der Mauren, die die Stadt 1294 wieder in ihre Hände bringen wollten, geriet Guzmans Sohn in die Hände der Araber. Die Mauren drohten Guzmans Sohn umzubringen, wenn er die Stadt nicht aufgeben würde. Guzman blieb standhaft und weigerte sich, die Stadt für seinen Sohn zu opfern. Das Flehen seiner Frau ignorierend warf er den Mauren noch einen Dolch für die Ermordung seines Sohnes zu. Für diese Heldentat ging Guzman als „il bueno“ (der Gute) in die Geschichtsbücher ein. Überdies erhielt er von König Sancho IV von Kastilien umfassende Fischereirechte sowie Ländereien, die den Reichtum seiner Familie begründeten. Was mit dem Sohn passiert ist, steht nirgendwo.
Am Freitag waschen wir blitzschnell zwei Maschinen Wäsche, weil es sonnig und schön ist. Abends gehen wir mit Herbert und Dagmar Pizza essen. Der Wirt ist Deutscher und Borussia-Fan. An den Wänden hängen vier bis fünf riesige Fernseher, auf denen natürlich Fußball läuft. Die ganze Kneipe sieht aus wie ein Fanshop, und das Publikum ist selbstredend überwiegend deutsch. Nach der Pizza gibt es noch eine Absacker in der Campingbar. Ein sehr netter Abend.
Schon seit Donnerstag habe ich Halskratzen. Trotz sofortiger Teekur mit Infektblockertee kann ich die Erkältung nicht mehr abwenden. Samstag bis Montag liege ich flach und bewege mich kaum vom Wohnmobil weg.
Donnerstag, 9.2.
Claus: So, seit Längerem haben wir uns nicht mehr gemeldet, was daran liegt, dass es nichts Besonderes zu berichten gibt. Der Wecker klingelt um 8:00, Jeannine fährt in die Schule, ich hüte das WoMo. Um ca. 14:30 essen wir zu Mittag, danach muss Jeannine Hausaufgaben machen und Vokabeln lernen. Zudem wurde das Wetter auch schlechter und den für das letzte Wochenende geplanten Ausflug musste wir canceln, da Jeannine erkältet war. Da man sich auf ca 10qm nicht aus dem Weg gehen kann….genau, jetzt bin ich erkältet. Montag musste Jeannine sogar die Schule absagen.
Ich habe eben alle Dinge draussen „gesichert“, da es morgen Sturm mit Böjen bis über 90 km/h geben soll. Wir hoffen, dass es nicht ganz so schlimm wird.
Soweit der Bericht von den Dauercampern. Der Sprachkurs geht nun noch 6 Tage, dann können wir (endlich) mal ein Stück weiterfahren.
Montag, 4.2. bis Sonntag, 12.2.
Jeannine: Montag ist wunderbares Wetter, und ich pflege meinen Schnupfen. Bisher hat es Claus noch nicht erwischt, aber bei der Enge im Wohnmobil ist das leider nur eine Frage der Zeit. Dienstag bin ich wieder fit und kann in die Schule.
Bisher bin ich gerne jeden Tag nach Tarifa zur Schule geradelt, aber am Donnerstag macht das erstmalig keinen Spaß. Der Wind ist so stark, dass ich richtiggehend abgedrängt werde, wenn mich LKWs oder Busse überholen. Auf dem Rückweg mit Rückenwind geht es besser. Nachmittags treffen wir uns wieder mit unseren neuen Freunden Herbert und Dagmar zum Essen im benachbarten „Hurricane Hotel“. Dort gibt es einen Pavillon mit Terrasse, auf der wir wunderbar windgeschützt sitzen und aufs Meer blicken können. Das Essen ist auch ok. Das kulinarische Highlight haben wir in Spanien bisher noch nicht entdeckt. Alles ist oft etwas fade und leider meistens nur lauwarm. Gut, dass wir selbst kochen können; dieses Niveau kann man allemal toppen. Aber hier geht es gar nicht so sehr ums Essen, sondern wir genießen die Gespräche mit Herbert und Dagmar.
In der Nacht auf Freitag kommt der Sturm, den alle Wetterberichte angekündigt haben. Wir stehen mit der Längsseite zur Windrichtung, und das Wohnmobil schaukelt so stark, dass wir Angst haben umzukippen. Es ist eine unruhige Nacht, wir schlafen beide schlecht. Morgens frage ich an der Rezeption angelegentlich, ob denn schon mal ein Wohnmobil umgekippt sei. Ist aber nicht, was uns sehr beruhigt. Zur Schule fahre ich jedenfalls sicherheitshalber mit dem Taxi. Bei dem orkanartigen Sturm wollen wir auch das Wohnmobil nicht bewegen.
Nachmittags backe ich erstmalig einen Kuchen in unserer Omnia-Backform. Alles natürlich improvisiert, gerührt wird im größten Topf mit einer Gabel. Aber es klappt, und ich bin ganz stolz auf meinen Geburtstagskuchen für Claus.
Am Samstag wird das Wohnmobil noch mit einer Spanischen Geburtstagsgirlande dekoriert, die ich in einem der Chinesen-Läden erstanden habe. Aber die Chinesen haben es wohl nicht so mit Spanisch: Es fehlen doch tatsächlich zwei Buchstaben im Glückwunsch! Claus freut sich trotzdem. Das ganze Wochenende stürmt es so stark, dass man gar nicht viel machen kann.
Montag, 13.2. und Dienstag 14.2.
(Claus:) Wir treffen eine spezielle Entscheidung. Nachdem Jeannine am Montag wieder wegen des starken Windes*, mit dem Taxi zur Schule fahren musste (es gibt keine Busverbindung) und dies die ganze Woche wohl so sein wird und weil ich seit Sonntag extrem erkältet bin, beschließen wir, dass Jeannine bis Freitag in ein Apartment in Tarifa zieht. Sie spart somit die Taxifahrerei (pro Tag EUR 30.-), kann in Ruhe schlafen und sich auf die letzte Schulwoche konzentrieren. Ich kann mich (hoffentlich) kurieren und schlafen, wenn ich schlafen muss/will. Gemeinsam suchen wir abends ein zentral gelegenes Apartment (kostet dann auch nicht sooo viel mehr als das tägliche Taxi) und buchen es ab Dienstag. Mitentscheidend: Es muss eine Heizung haben! Dies ist, wir wir zufällig von anderen gehört haben, in Tarifa nicht selbstverständlich. Jeannine packt ihre Tasche und checkt dort am Dienstag Morgen bereits ein. Nun ist sie bis Freitag (Kursende) direkt vor Ort, und ich kann hier rumhusten.
*zum Thema Wind: Es herrscht derzeit der Levante, ein sehr starker Wind von Ost nach West. Durch die Meerenge von Gibraltar entsteht eine Düsenwirkung, die zu sehr starken Winden und Böen führt und dies teilweise 2 Wochen anhaltend. Unten die Geschwindigkeiten vom Freitag. Fahrradfahren wird unmöglich bis lebensgefährlich, besonders auch, da der Radweg entlang der recht befahrenen Nationalstraße verläuft.
Gegenüber von unserem Platz steht seit Samstag ein Typ, der Reisen mit dem Wohnmobil nach Marokko organisiert. Er erzählt mir, dass derzeit wegen des Sturms keine Fähren übersetzen. D.h. in Tarifa warten mehrere Personen in ihren Fahrzeugen auf die nächste Überfahrt. Seine Kunden (in sexhs Wohnmobilen) treffen hier am Dienstag ein. Er hofft, dass sie am Mittwoch starten können. Die Reise ist geplant für vier Wochen, zzgl. An- und Rückreise. Ärgerlich, wenn man dann einige Tage „verliert“ weil man auf die Fähre wartet. Aber so ist das eben bei Fernreisen!
P.S. zum Thema Wind: Selbst für die Surfer und Kiter hat es zu viel Wind. Hinzu kommt, dass der Wind Richtung Atlantik bläst und die Gefahr groß ist, aifs Meer getrieben zu werden. Genau dies ist am Freitag fast einem Surfer passiert, der mit viel Glück nach drei Stunden aus eigener Kraft ans Land zurück gelangte (ihm war das Zugseil gerissen).
Donnerstag, 16.2. (Claus:) Heute eine weitere Premiere!
Habe mittelprächtig geschlafen, obwohl ich ja Platz und Ruhe hatte. Aber auch Jeannine schläft im Apartment nicht besonders gut. Da mein Husten auch nicht wirklich besser wird, habe ich beschlossen, in Tarifa zu einem Arzt zu gehen. Also alle wichtigen spanischen Übersetzungen für Husten. Auswurf, Bronchitis, Antibiotika, usw. rausgesucht und aufgeschrieben.
Beim Campingplatz-Empfang nochmals nachgefragt, ob das Medzinzentrum auch das richtige wäre. Ja! OK. Ob sie mir bitte dort einen Termin machen könnten? Das sollte ich nicht, den bekäme ich dann erst in 2-3 Wochen. Sollte einfach als Notfall hinfahren. Nun gut. Habe mich mental auf 3-4 Stunden Wartezeit eingestellt. Also rufe ich mir ein Taxi zum Campingplatz, und wir fahren in die Stadt. Dort angekommen, bin ich sehr überrascht, weil das Wartezimmer bis auf eine Person leer ist. Außerdem ist alles sehr klein. Bei Medizin-Zentrum dachte ich an mehrere Ärzte, ständig klingelndes Telefon, mehrere Wartezimmer und Wuseln im Gang. Statt dessen ist der Empfang ist unbesetzt, da die Arzthelferin immer in einem der hinteren Zimmer ist. Wer rein möchte, muss klingeln, dann kommt sie und öffnet die Tür. Es scheint zwei Ärzte zu geben.
Nach fünf Minuten bin ich dran. Das Arztzimmer ist vom Boden bis zur Decke voll mit Pokalen – Surfen, Kiten, Segeln, Fotos von Wellen und Leuchttürmen…soweit ich dies überblicken kann. Gerne hätte ich ein paar Fotos gemacht. Aber dafür bin ich ja nicht hier. Nachdem meine Personalien auf einem Post-it erfasst und vom Chef in den Computer eingegeben sind, gehen wir in den Nebenraum zur Untersuchung. Die macht er sehr gründlich und entdeckt die Stelle, an der es „rasselt“. Zurück im Chefzimmer schreibt er den Bericht, die Rezepte und die Rechnung (80.- EUR).
Die Rechnung zahle ich per EC und bin nach knapp 30 Minuten wieder draußen, mit einem sehr guten Gefühl. Schnell noch zur Apotheke und dann gemeinsames Mittagessen mit Jeannine, die mittlerweile schulfrei hat und von der Schule zur Tapas-Bar kommt. Das Essen ist leider wieder nur mittelprächtig…
Mit dem Taxi wieder zum Campingplatz, Tagesziel erreicht. Irgendwann kommt Dagmar vorbei und fragt, ob ich einen Teller Gemüseeintopf haben möchte, den sie gestern gekocht hat. Da sage ich sicher nicht Nein. Außerdem schlagen sie vor, da sie morgen eh einkaufen wollen, Jeannine von der Schule abzuholen und sie mit zum Einkaufen zu nehmen. Total nett, sympathisch und hilfsbereit die beiden – toll!
Ich esse meinen Eintopf und bin happy.
Bis um 22:00 Uhr. Ich gehe ins Bett und kann absolut nicht schlafen. Draußen tobt der Sturm, und ich bin hellwach. Stehe wieder auf. Gehe um 23:30 wieder ins Bett. Stehe wieder auf und schreibe dies hier um mittlerweile 6:00. Und habe so gut wie nicht geschlafen. Die Böen bringen das WoMo stark zum Schaukeln. Auf dem Nebenplatz hat jemand ein Zelt aufgeschlagen, das knattert und flattert. Aber es scheint zu halten. Vorhin habe ich etwas Musik gehört, vielleicht hat er sich ein bisschen Mut gemacht? Der Sturm nervt nun schon seit zwei Wochen. Am Stück. Permanent. Rund um die Uhr. Obwohl es fast 14 Grad ist, kann man nicht draußen sitzen. Fahrradfahren unmöglich. Laufen schwierig. Mit dem WoMo sollte man auch nicht fahren, da man mit ca. 2,70m Höhe eine enorme Angriffsfläche bildet.
Nun, morgen/heute werden wir besprechen wohin es weitergeht. Der Spanischkurs ist dann fertig, und wir beenden unser Dauercamperdasein und werden wieder mal fahren (wohnMOBIL)…
Montag, 13.2. bis Sonntag, 19.2.
(Jeannine): Die letzte Woche Spanischkurs! Am Montag stürmt es wieder so stark, dass ich mit dem Taxi fahre. Ich bin total unausgeschlafen. Claus hat nachts fürchterlich gehustet, und wir konnten beide nicht schlafen. Wir entscheiden deshalb am Montagabend, dass ich bis Ende der Woche in ein Hotel in Tarifa ziehe. Das fühlt sich sehr komisch an. Am Dienstag morgen habe ich das Gefühl, „auszuziehen“. Aber es ist definitiv die richtige Entscheidung.
Das Hotel liegt mitten in der Altstadt und hat vollautomatischen Checkin, den Zimmercode erhält man per whatsapp. Die ganzen vier Tage sehe ich kein einziges Personal. Wesemtlich größer als unser Wohnmobil ist das Zimmer auch nicht. Man kann immerhin bequem rund ums Bett laufen, aber das war es auch schon. Es gibt eine Küchenzeile, aber weder Stuhl noch Tisch. Wie das wohl gedacht ist? Kochen geht, aber gegessen wird auf dem Bett? Immerhin kann ich mir Tee zubereiten.. Es gibt außerdem eine Heizung, was in andalusischen Unterkünften nicht selbstverständlich ist. Die besteht aus einer Klimaanlage, die auf Wärme umgestellt werden kann, hängt an der Decke und bläst warme Luft von oben herunter. Am Boden bleibt es kalt, und gegen den Zug von der undichten Zimmertür hilft sie auch nicht. Das Ganze ist bei weitem nicht so gemütlich wie in unserem Wohnmobil, aber definitiv besser als keine Heizung.
Absolut genial ist der Standort mitten in der Altstadt. Alles ist in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar, auch die Schule. Unterwegs kann ich mir in der Markthalle die tägliche Ration Obst besorgen. In den drei Tagen gehe ich nach der Schule etwas essen, mache einen langen Strandspaziergang und verziehe mich dann aufs Zimmer zum Hausaufgaben-machen, Telefonieren und Lesen. Einen Abend zappe ich mich durch spanische Fernsehsender und freue mich, wenn ich ein bisschen was verstehe.
Der Sturm hält die ganze Woche über an. Es ist übrigens der Levante, der aus Osten kommt und sozusagen durch die Straße von Gibraltar gepresst wird. Er wird durch die Sierra Nevada auf spanischer und den Atlas auf marokkanischer Seite kanalisiert und erreicht in der Meerenge seine größte Kraft, bevor er auf dem Atlantik wieder an Energie verliert.
Nur eine Handvoll Surfer traut sich aufs Wasser. Auch für die Profis ist es offensichtlich nicht ungefährlich. Wir hören von zwei Kitern, die abgetrieben werden. Einer kann sich nach drei Stunden aus eigener Kraft retten, beim anderen wurde die Rettung verständigt. In der Stadt ist der Sturm zwar nicht gefährlich, aber lästig. Ich hätte nie gedacht, dass Wind nerven könnte, aber die ständige Geräuschkulisse und die Windböen, gegen die man ankämpfen muss, sind geradezu anstrengend.
Meine kulinarischen Erlebnisse in Tarifa halten sich wieder sehr in Grenzen. Wieder überwiegt der Eindruck, dass alles entweder fritiert oder fade, auf jeden Fall aber lauwarm ist. Ich probiere Lokale, die von den Lehrern an der Schule wärmstens empfohlen werden, aber das Ergebnis ist immer gleich. Mit einer Ausnahme: der Mexikaner, zu dem wir an einem Abend im Rahmen eines Schulausflugs gehen. Das Essen dort ist richtig gut und wird in zischenden Pfännchen serviert. Und dann gibt es noch die Konditorei La Tarifeña, die leckere und optisch sehr aufwändige Küchlein und Torten produziert. Am Dienstag ist Valentinstag, und dafür haben sie sich richtig ins Zeug gelegt.
Wie Claus schon berichtet hat, holt mich Dagmar am Freitag netterweise von der Schule ab, und wir beide machen einen ausgedehnten Shoppingtrip zu Lidl und Mercadona. Wir quatschen über Gott und die Welt, über Männer und Kochrezepte, und das blöde Einkaufen macht richtig Spaß. Das „Heimkommen“ ins Wohnmobil ist genau das: Heimkommen. Claus hatte eine ganz unruhige Nacht, und sieht müde und schlecht aus. Ich packe aus, wir essen diverse Reste und gehen früh schlafen. Am nächsten Morgen geht es ihm viel besser.
Das Wochenende verbringen wir mit Waschen, Aufräumen, Kochen und Essen. Die Wäsche „steht“ waagerecht im Wind und wird so glatt wie gebügelt. Außer kleinen Spaziergängen ist nicht mehr drin, weil es unablässig stürmt. Sonntag packen wir das Wohnmobil, damit wir am Montag gleich loskommen. Und wir gehen „Abschieds-Kuchenessen“ in die Tarifeña am Hafen mit Dagmar und Herbert. Wie immer ist es total nett. Wir tauschen Telefonnummern aus und laden uns gegenseitig nach Hause ein.
Montag, 20.2.
Am Morgen werden wir sehr herzlich verabschiedet von Dagmar, Herbert und den Campingplatz-Mitarbeitern. Netterweise können wir unsere spanische Gasflasche auf dem Platz deponieren bis nächstes Jahr. Den Adapter nehmen wir natürlich mit!
Unser erstes Ziel ist ein Stellplatz in den Bergen, ca. 40 km vor Ronda. Kaum biegen wir kurz hinter Algeciras ins Landesinnere ab, wird es idyllisch. In der Nähe von Castellar de la Frontera sind auf fast allen Strommasten Vorrichtungen angebracht, auf denen Störche ihre Nester bauen können.
Wir machen Halt in Los Angeles, das wirklich so heißt. In einer Kneipe probieren wir Tapas, die uns erstmalig richtig gut schmecken. Dito der Kaffee. Die Preise sind etwa die Hälfte von denen in Tarifa. Die Straße windet sich in Serpentinen durch die Berge, dazwischen blitzen weiße Dörfer. Es ist ein bisschen windig, mit Betonung auf ein bisschen. Welche Wohltat.
Der Stellplatz liegt nahe einem winzigen Dorf in den Bergen, ist ganz ruhig und hat eine wunderbare Aussicht. Es gibt überall gut ausgeschilderte Wanderwege. Ich mache eine kleine Tour und komme an großen Korkeichen vorbei, die wegen ihres Alters „Großväter“ genannt werden. Sie werden übrigens nur alle neun Jahre geschält.
Während ich unterwegs bin, kommt Claus mit Nachbarn auf dem Stellplatz ins Gespräch. Da sie aus Oldenburg kommen, frägt er sie einfach mal so, ob sie meine Freundin Nicki kennen. Und tatsächlich, sie kennen sie aus der Kirchengemeinde. Wie klein die Welt doch manchmal ist.
Dienstag, 21.2.
Nach dem Frühstück fahren wir auf einer Bergstraße Richtung Ronda. Für die 40 Kilometer brauchen wir eine gute Stunde, aber es ist einfach nur schön. Wir sehen rosablühende Bäume – die Mandelblüte hat schon begonnen.
Ronda liegt auf einem Hochplateau und wird durch eine rund 100 Meter tiefe Schlucht geteilt. Sie ist Resultat eines tektonischen Bruchs, durch den der Fluß Rio Guadalevin in mehreren Kaskaden nach unten stürzt. Drei Brücken führen von der mittelalterlichen Altstadt in die „Neustadt“ aus dem 15. Jahrhundert. Die Gässchen mit den Souvenirshops, Cafés und Restaurants sparen wir uns. Dito die Stierkampfarena, obwohl diese die älteste Spaniens ist. Zwar wurde der Stierkampf in Ronda nicht erfunden, doch wurden hier Ende des 18. Jahrhunderts die heute noch gültigen Regeln der „Corrida“ festgelegt. Aber Stierkampf bleibt ein blutiges Spektakel und interessiert uns nicht so sehr. Statt dessen laufen wir über die untere „alte Brücke“ in die Altstadt, genehmigen uns in einer Kneipe am Rande der Schlucht ein spanisches Frühstück (Tomatenbrot und Kaffee) und laufen nach oben zur „neuen Brücke“, die sich 70 Meter lang und 100 Meter hoch in drei Bögen über die Schlucht spannt. Rund um die Stadt gibt es wunderbare Ausblicke auf das Umland. Auf der Neustadtseite wurden Gärten entlang der Schlucht angelegt, die imposante Perspektiven von unten auf die Neue Brücke und hinab in den Canyon ermöglichen.
Wir fahren weiter in das Dorf Grazalema in den Bergen. Die Straße ist hier so schmal, dass wir bei Gegenverkehr die Luft anhalten. Grazalema ist wieder ein weißes Dorf (die Dörfer hier sind ja alle weiß!) und liegt malerisch an einer Felsflanke. Eigentlich wollen wir auf den dortigen Campingplatz, aber der gefällt uns nicht, weil er sehr schattig ist. Statt dessen stellen wir das Auto auf einen Stellplatz, der auf einer Terrasse oberhalb des Dorfes liegt. Wir haben eine super Aussicht, noch ein bisschen Sonne und nette Nachbarn, mit denen Claus sofort ins Gespräch kommt. Ich erkunde derweil das Dorf.
Mittwoch, 22.2.
Eigentlich würden wir hier gerne noch einen Tag bleiben, aber wir brauchen doch nochmal kurz die Infrastruktur eines Campingplatzes. Bevor wir losfahren, laufen wir ins Dorf, um auf dem Marktplatz einen Kaffee zu trinken. Dort treffen wir die anderen Stellplatznachbarn und verplaudern fast zwei Stunden mit ihnen. Sowohl sie als auch wir finden das Gespräch wichtiger als den eigentlichen Tagesplan. Welcher Luxus, wenn man diese Freiheit hat!
Unser nächster Stopp ist ein Campingplatz außerhalb eines anderen weißen Dorfes namens Olvera. Der Campingplatz liegt auf einer Kuppe und hat eine 360-Grad-Aussicht. Die Rezeptionistin telefoniert unablässig und ist bemerkenswert unfreundlich, die Atmosphäre auf dem Platz irgendwie seltsam. Aber für zwei Nächte ist alles ok.
Olvera thront spektakulär auf einer Bergkuppe und wird dominiert von einem maurischen Kastell und einer Kirche aus dem 16. Jahrhundert. Man sieht das Dorf von weitem, und zwar aus verschiedenen Richtungen. Ich mache noch einen kleinen Fahrradausflug dorthin, aber in dem Fall ist der Eindruck von weitem beeindruckender als aus der Nähe. Immerhin hat man schöne Ausblicke von oben ins Land. Ich schaue mir die Kirche La Encarnación an, deren Fassade vor sich hin bröckelt. Innen gibt es mindestens fünf Marien- und mehrere Heiligenfiguren, alle mit echten Gewändern ausstaffiert.
Direkt unterhalb der Burg liegt der Friedhof, von dem aus man weit ins Land blicken kann. Die Grabstätten sind schließfachartig angeordnet, mit Marmorrahmen, in denen die Namen der Verstorbenen neben Marien- oder Jesusdarstellungen stehen und mit Kunstblumen geschmückt sind.
Donnerstag, 23.2.
Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Rad nach Setenil de las Bodegas, in dem die Häuser in die Felsüberhönge eines ausgewaschenen Flusstals gebaut sind. Der Weg dorthin führt über kleine Landstraßen und ist grandios. Es ist zwar kühl, aber die Sonne scheint, und die Berge und Hügel erinnern mich abwechselnd an den Hegau oder den Schwarzwald. Die Vegetation ist natürlich mediterran, es gibt überall Olivenplantagen, und an den Straßenrändern wuchern Agaven. In den Plantagen wird überall gearbeitet und viel Grünzeug verbrannt. Ich bin wieder sehr froh über mein E-Bike, weil die Strecke entweder bergauf oder bergab führt. Mit ein bisschen Antrieb ist das gar kein Problem.
Am Nachmittag widmen Claus und ich uns einer wichtigen Aufgabe: der Entsalzung und Entsandung unseres Wohnmobils! Durch die Stürme in Tarifa ist das Auto voller Salz und Saharastaub. Dass wir überhaupt noch etwas durch die Scheiben sehen können, grenzt an ein Wunder. Bei meinem Ausflug nach Olvera habe ich eine Waschstation für LKWs gesehen, die steuern wir an. Porentief rein ist der Wagen danach immer noch nicht, aber wie können wieder durch die Fenster blicken.
Freitag, 24.2.
Heute steht die Mezquita von Cordoba auf dem Programm. Ich habe online eine Eintrittskarte mit Führung gebucht. Die zweistündige Fahrt nach Cordoba ist wieder ein Erlebnis, wenn auch ganz anders als in den letzten Tagen. Zunächst fahren wir durch hügelige Landschaften voller Olivenbäume. Dann wird es flacher. Die Olivenbäume bleiben. Die Landschaft ist weit, der Himmel riesig, und außer einigen Traktoren begegnen uns in der ersten Stunde nur wenig Fahrzeuge. Cordoba liegt in dem weiten, fruchtbaren und landwirtschaftlich intensiv genutzten Tal des Guadalquivir. Dahinter beginnt gleich die nächste Bergkette. Ich habe einen Campingplatz in der Stadt ausgesucht, aber dummerweise nicht vorher angerufen. Als wir ankommen, ist der Campingplatz geschlossen. Praktischerweise gibt es gleich daneben ein Hinweisschild auf den nächsten Platz (vielleicht ging es mehreren anderen wie uns!). Dem folgen wir und kommen 7 km außerhalb von Cordoba in die Berge. Dieser Campingplatz liegt mitten in einem Naturschutzgebiet und ist ein Traum, aber leider ausgebucht. Wir bekommen trotzdem noch ein Plätzchen. Zurück nach Cordoba geht es dann nur mit dem Taxi, aber das klappt problemlos.
Vor der Führung schlendere ich noch ein bisschen durch die Altstadt und die sogenannte „judería“, das ehemalige Judenviertel, in dem es allerdings seit dem letzten Progrom im 15. Jahrhundert kein jüdisches Leben mehr gibt. Die Gässchen sind malerisch, voller Restaurants, Cafés, Bars, Eisdielen und unglaublich vollgestopften Souvenirshops. Und voller Touristen. Meine Güte, es ist ja erst Februar, wie geht es denn hier im Sommer zu?
Die Führerin durch die Mezquita ist eine zierliche Spanierin mit dem sprichwörtlichen spanischen Temperament und tiefer Stimme. Wir bekommen Empfangsgeräte und Ohrstöpsel und können sie somit immer gut verstehen. Sie erzählt mir später, dass sie Kunsthistorikerin ist und sich auf die Geschichte der Mezquita spezialisiert hat. Das merkt man bei jedem Satz. Ihr fundiertes Wissen und ihre Begeisterung für dieses Gebäude reißen die ganze Gruppe mit.
Und die Mezquita ist wirklich unglaublich! Ein über 14.000 Quadratmeter großes Gebäude mit 856 noch existierenden Säulen und Rundbögen. Für die ältesten Teile der Mezquita wurden römische und westgotische Säulen und Kapitelle „recycelt“. Um die unterschiedlichen Höhen der Säulen auszugleichen, wurden sie entweder in den Boden eingelassen oder auf Podeste gestellt. Die Säulen tragen die charakteristischen Doppel-Rundbögen, gestreift aus terrakottafarbenen Ziegeln und weißen Kalksteinen. Nach mehreren Erweiterungen hatte die Moschee 19 Längsschiffe, war 134 Meter breit und 179 Meter lang. Der riesige,, horizontal ausgerichtete Gebetsraum bit Platz für 40.000 Gläubige. Da die Portale an der Nordwand offen waren, floss Licht durch die Halle, was die Farben anders zum Leuchten gebracht haben wird als heute.
Das Besondere an der Mezquita ist die Gleichzeitigkeit von Baustilen aus mehreren Jahrhunderten. Auf dem Fundamenten einer christlichen Kirche wurde im 8. Jahrhundert eine Moschee („Mezquita“) errichtet, in die nach der Reconquista unzählige Grabkapellen sowie – und das ist wohl weltweit einmalig – eine Kathedrale hineingebaut wurden. Inmitten der islamischen Säulen- und Rundbögenarchitektur erhebt sich eine Kirche. Seit dem 13. Jahrhundert ist die „Mezquita Catedral“ ein katholisches Gotteshaus, in dem Messen, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen zelebriert werden. Islamische Architektur aus dem 7. bis 10. Jahrhundert wechselt sich aprupt ab mit gotischen Spitzbögen und Rosettenfenstern und Renaissance-Elementen. Die beeindruckende Schönheit der islamische Säulenhalle wurde dabei empfindlich beeinträchtigt, was sogar König Karl V., der die Genehmigung für den Bau der „Capella Mayor“ erteilt hatte, beklagt haben soll. Aber wie uns unsere Führerin erklärt, ist die Mezquita auch ein Beispiel für die Koexistenz der verschiedenen Stile. Andernorts, zum Beispiel in Sevilla, wurden die Moscheen zerstört, bevor die christlichen Kirchen auf ihren Trümmern errichtet wurden. In Cordoba hingegen blieben die islamischen Elemente erhalten. So wurde zum Beispiel der Glockenturm um das Minarett herumgebaut und existiert bis heute, wenn auch von außen nicht sichtbar. Wegen dieses einzigartigen Nebeneinanders völlig unterschiedlicher Baustile gehört die Mezquita zum UNESCO Weltkulturerbe.
Nach zwei Stunden Führung bin ich etwas geplättet und schlendere nur noch kurz zum Fluß. Auf der ehemaligen römischen Brücke (die heutige ist eine Rekonstruktion) tummeln sich Menschen und hören verschiedenen Straßenmusikanten zu, deren Musik sich gelegentlich überlappt. Es ist eine heitere, entspannte Atmosphäre.
Samstag, 25.2.
Nach dem Frühstück fahren wir über Landstraßen Richtung Sevilla. Wieder ist die Fahrt traumhaft schön. In einem weiten blauen Himmel hängen Wolken wie an Schnüren, wir sehen kilometerweise Oliven- und Orangenplantagen und grasgrünen Weizen. Nachdem wir aus Cordoba heraus sind, wird auch der Verkehr immer spärlicher, und wir haben gelegentlich das Gefühl, wir sind allein auf dieser Straße.
Wir fahren auf einen Campingplatz in einem Vorort von Sevilla, von wo es eine direkte Busverbindung in die Stadt gibt. Diesmal habe ich vorab keinen Eintritt gebucht, was sich als Fehler erweist. In der Tourist Information schüttelt der nette Mitarbeiter nur müde den Kopf, als ich nach Eintrittskarten für die Kathedrale frage. Das gleiche beim Königspalast Alcazar. Für den bekomme ich dann online eine Karte für Sonntag, für die Kathedrale ist das ganze Wochenende ausgebucht. Nix Nebensaison. Die Stadt ist voller Menschen, vorwiegend Spanier, die wie ich später erfahre ein Brückenwochenende vor sich haben (der kommende Dienstag ist ein Feiertag in Andalusien).
Egal, die Kathedrale ist auch von außen imposant und hat ungeheure Ausmaße. Vor dem Baubeginn Amfang des 15. Jahrhunderts sollen die Kirchenoberhäupter sich vorgenommen haben, „eine Kirche zu bauen, die so groß ist, dass künftige Generationen uns für verrückt halten“ (so steht es im Reiseführer Lonely Planet). Sie gilt jedenfalls als die größte gotische Kathedrale der Welt.
Statt der Kathedrale schaue ich mir ein modernes Bauwerk an, den „Metropol Parasol“, den die Sevillaner liebevoll in „Las Setas“, „die Pilze“ umgetauft haben. Das größte Holzbauwerk der Welt steht auf der Plaza de la Encarnación, auf der Anfang der 70er Jahre eine alte Markthalle abgerissen wurde. Danach stand der Platz über 40 Jahre lang leer, bzw. wurde als Parkplatz genutzt. Anfang der 2000er Jahre lobte Sevilla einen Architekturwettbewerb für eine neue Nutzung aus, den der damals junge Berliner Architekt Jürgen Mayer gewann. Die Bauzeit für das neue Wahrzeichen Sevillas war deutlich länger und die Baukosten deutlich höher als geplant. Aber seit seiner Eröffnung im Jahr 2011 ist der Parasol zu einem beliebten Treffpunkt für Sevillaner und Touristen geworden. Die Konstruktion mit ihren organischen Formen ist 150 Meter lang, 70 Meter breit und 26 Meter hoch. Man kann mit einem Lift nach oben fahren und auf einem 250 Meter langen Rundweg über die Pilze die Stadt nach allen Richtungen von oben erleben. Unten gibt es einen erhöhten Platz sowie mehrere Freitreppen. Überall verweilen Menschen, sitzen auf den Stufen, hören Straßenmusikanten zu. Rund um den Platz sind Restaurants und Cafés. Die Pilze und der Raum, den sie gestalten, sind ein beliebter und lebendiger Treffpunkt in Sevilla geworden. Der Parasol hat etwas Magisch-Heiteres an sich.
Sonntag, 26.2.
Nach dem Frühstück nehme ich wieder den Bus nach Sevilla, um mir den Königspalast Alcazar anzusehen. Die Stadt ist noch voller als am Samstag. Auch über die großen Avenuen schieben sich Menschenmassen. Vor dem Alcazar bilden sich Schlangen, obwohl alle, die anstehen, bereits für ein bestimmtes Zeitfenster ihr Ticket haben. Der Palast, oder besser das Palastensemble, ist wieder ein überwältigendes Beispiel für die Vermischung islamischer und christlicher Architektur. Er dient heute noch der spanischen Königsfamilie als Residenz und ist damit der älteste bewohnte Palast Europas. Ursprünglich wurde er im 8. Jahrhundert als maurische Festung angelegt und in den darauffolgenden Jahrhunderten zum Palast erweitert.
Das Herzstück der Anlage, der Palast von Pedro I. (genannt der Grausame) wurde von einem christlichen Herrscher im maurischen Stil erbaut (die Mischung wird als Mudéjar-Architektur bezeichnet). Spätere katholische Herrscher erweiterten den Palast um gotische Elemente. Wohn- und Representationsräume gruppieren sich um mehrere wunderbar angelegte maurische Innenhöfe mit Bäumen und Brunnen.
Und die ganze Anlage öffnet sich zu einem Labyrinth wunderschöner Gärten mit sorgfältig angelegten Sichtachsen, mit Pavillons, Bächlein und Brunnen. In den Gärten verlaufen sich die Menschenmassen gnädigerweise etwas. Ich überlege, wieviele Millionen von Handyfotos hier täglich gemacht werden. Praktisch jeder läuft mit dem gezückten Smartphone in der Hand herum. Ich ja auch!
Nach der Besichtigung erhole ich mich im Museumscafé, das auch im Park liegt und von mehreren penetranten Pfauen bevölkert wird. Den anwesenden Kindern sind die Vögel definitiv nicht geheuer, was ich gut verstehen kann. Beim Weiterschlendern durch die Stadt entdecke ich noch ein kleines, aber feines Museum, das „Hospital de los Venerables Sacerdotes“, ein ehemaliges Hospiz für betagte Priester. Der Barockbau ist – angelehnt an die maurische Architektur – um einen geradezu heiter anmutenden Innenhof mit Säulengang, Keramikfliesen und Orangenbäumen herum gebaut. Nicht nur die Kapelle ist mit Trompe-l‘oeil-Malerei ausgeschmückt, sondern sogar die Sakristei. Das Museum zeigt eine winzige Sammlung von Meisterwerken von Diego Velazquez und Bartomolé Murillo. Es sind nur einige wenige Gemälde, aber die sind wirklich exquisit. Dieses kleine Museumsschätzchen ist wie eine Erholung nach dem Besuch des Alcazar.
Auf dem Rückweg zum Bus laufe ich an einem Café vorbei, das „Churros con chocolate“ anbietet. Das ist eine typisch spanische Kalorienbombe, von der unsere Spanischlehrerin Bea immer geschwärmt hat. Diese Kultur der etwas anderen Art muss zumindest ausprobiert werden. Lustig ist, dass gleich mehrere Spanier beim Vorbeilaufen so etwas wie „aahh, churros“ von sich geben.
Montag, 27.2.
Nach drei Tagen Kultur und Stadt freuen wir uns beide wieder auf ein bisschen Natur. Weil das Wetter die nächsten Tage kälter werden soll, fahren wir nochmal ein Stück nach Süden, und zwar in das Dorf El Rocío im Doñana Naturpark. Der Doñana-Park ist ein riesiges Feuchtgebiet im Flußdelta des Guadalquivir und ein einzigartiges Biotop mit vielen seltenen Vogelarten, darunter Flamingos, mit Luchsen und freilaufenden Hirschen.
Das Dorf El Rocio selbst liegt malerisch an einem Marschsee, in dem Flamingos umherstolzieren, und entpuppt sich als Biotop ganz anderer Art. Das 800-Seelen-Dorf ist jedes Jahr um Pfingsten Treffpunkt von rund 1 Million (!) Pilgern aus dem ganzen Land. Ziel der Pilger ist die Statue der Heiligen Jungfrau aus der Kirche Ermita del Rocio, die am Pfingstsonntag aus der Kirche durchs Dorf getragen wird.
Der ganze Ort besteht aus Sandstraßen. Für 800 Einwohner ist er riesig, was daran liegt, dass über 100 Pilger-Bruderschaften große Herbergen vorhalten. Die sind das ganze Jahr über unbewohnt, und die breiten Sandpisten dazwischen menschenleer. Jetzt ist zwar noch nicht Pfingsten, aber wegen des andalusischen Feiertags am Dienstag sind trotzdem viele Menschen im Dorf. Die Besucher heute konzentrieren sich um die Kirche und auf der Promenade. Viele sind hoch zu Roß oder fahren auf Pferdefuhrwerken, manche auf richtigen Planwagen. Vor den Häusern sind praktischerweise Querbalken montiert, an denen man die Pferde festbinden kann. Ebenfalls rund um die Kirche gibt es Souvenirshops, die Votivbilder, Anhänger, Kerzen und alle möglichen Scheußlichkeiten mit dem Bild der Madonna anbieten. Das Ganze ist wirklich höchst schräg und erinnert mehr an Mittelamerika als an Mitteleuropa.
Dienstag, 28.2.
Der Naturpark Doñana ist ein streng reglementiertes Natueschutzgebiet, das nur auf sehr wenigen und abgegrenzten Wegen betreten werden darf. Kurz hinter dem Dorf gibt es ein Besucherzentrum, von wo aus ein knapp 4 km langer Rundweg zu vier Vogelbeobachtungs-Stationen führt. Die Profis trifft man dort mit Ferngläsern und riesigen Teleobjektiven. Fürs Handy sind die Vögel leider etwas zu weit weg.
Wir verbringen fast den ganzen Tag mit SMS, WhatsApp und Telefonieren mit unserer Familie und Freunden. Und wir lernen unsere anderen Platznachbarn kennen, Judith und Martin aus Berlin. Die sind vor genau einem halben Jahr losgefahren und tingeln seither mit ihren Fahrrädern durch Europa. Beide haben gespart, ihre Jobs und ihre Wohnung gekündigt und wollen die Welt erkunden, „solange es noch geht“. Auf normalen Fahrrädern (keine EBikes) transportieren sie alles, was sie brauchen, vom Zelt bis zur Ukulele. Martins Fahrrad wiegt mit Gepäck 86, Judiths 66 Kilogramm – jeweils ohne Fahrer.* Sie sind damit durch Frankreich, über die Pyrenäen, über die beiden Cordilleras und durch Portugal gestrampelt, im Schnitt 20-40km am Tag. Sie haben einen ganzen Monat lang Regen erlebt, während dessen ihre Kleidung nie ganz trocken wurde. Sie wollten sich drei Wochen lang in einer Villa erholen, die sie im Internet gefunden hatten. Für drei Stunden Mitarbeit täglich im Garten und bei den Tieren wurde ihnen freie Unterkunft mit Wasserbett und Swimmingpool versprochen. Nach vier Tagen brachen sie diese vermeintliche Erholungspause wieder ab, völlig angeekelt von den unhygienischen Zuständen auf dem Hof. So lange und ausführlich wie sie darüber berichteten, war dies das schlimmste Erlebnis ihrer bisherigen Reise. Martin und Judith stellen ihr Zelt normalerweise irgendwo in der Natur auf, in der Hoffnung ungestört zu bleiben. Das klappt meistens, gelegentlich aber auch nicht, Die zwei Nächte auf dem Campingplatz sind deshalb auch eine Erholung für sie. Am nächsten Tag packen sie ihre Räder wieder, um mit der Fähre nach Tanger überzusetzen und durch Marokko zu radeln. Sie haben kein Endziel für ihre Reise, und auch keinen Endtermin.
Unglaublich, mit wie wenig man auskommen und reisen kann, wenn man nur will (und jung genug ist). Im Vergleich zum Leben im Zelt, wo man auf dem Fußboden hocken muss und nur eine Isomatte als Unterlage hat, kommt uns unser Wohnmobil wie die pure Luxusunterkunft vor. Was sie im Vergleich dazu ja auch ist. Es gibt unterschiedliche Camper-Lifestyles. Wir gehören eher in die Normalo-Fraktion, DURO-Helga und Martin und Judith sind Extrembeispiele.
*(Claus) Diese Räder sind das absolute Kontrastprogramm zu den Triathlon-Rädern, der Kölner! 30 Jahre alte Mountainbike-Rahmen und den Rest selbst zusammengebaut. Absolute Priorität sind die Belastbarkeit und Stabilität. Leichtbau und Geschwindigkeit ist hier gar kein Thema!
Montag, 2.1.2023
Für nachmittags ist Regen angesagt, aber tatsächlich beginnt der schon nach dem Frühstück. Wir verschieben den eigentlich für heute geplanten Ausflug und fahren statt dessen nur zum Einkaufen und zum Wasser ablassen und – tanken. Nachmittags bei einem Strandspaziergang steht die Gischt aus der Brandung wie Nebel über dem Horizont. Weil überhaupt kein Wind ist, tummeln sie die Kite-Surfer heute als Wellenreiter im Wasser. Wie Seehunde paddeln sie mit ihren Boards unermüdlich hinter die Wellen, um dann in wenigen Sekunden zurück zu surfen. Sieht anstrengend aus. Und wir fragen uns, wie viele Bretter man als Surfer denn so dabei haben muss.
Dienstag, 3.1.2023
Morgens bestätigt der Campingchef, dass heute tatsächlich der Gasmann vorbeikommen soll. Freudestrahlend marschieren wir zur Rezeption, als ein Wagen voller Gasflaschen an uns vorbei fährt. Zu früh gefreut, das war der falsche Gasmann: Repsol statt Cepsa. „An Repsol-Flaschen kommen Sie nicht ran“, erklärt der Chef. Wir warten weiter. Am späteren Nachmittag teilt uns die Rezeption mit, dass der richtige Gasmann zwar da war, aber keine Flasche mehr übrig hatte. „Mañana“. OK – die Gas-Soap-opera geht in die nächste Runde.
Beim Strandspaziergang ist wieder kein Wind, dafür recht viel Brandung. Auch heute sind die Wellensurfer am Paddeln, und zusätzlich gibt es eine neue Surfer-Sub-Spezies: Stand up paddling-Surfer. Die stellen sich aufs Board und fahren stehend mit dem Paddel in die Wellen. Sieht nicht so cool ais wie normale Wellenreiter, geht aber vielleicht etwas schneller.
Abends treffen wir uns mit unseren Kölner Nachbarn Eva und Michael zum Abendessen in der Campingbar. Bis 2019 hatten sich beide neben ihren Berufen auf Sportwettkämpfe konzentriert, Michael auf Triathlons, Eva auf Radrennen. Corona brachte die Wettkämpfe auf einen Schlag zum Stillstand und bewirkte ein Umdenken bei den beiden. Beide treiben heute immer noch viel Sport, inzwischen auch andere Sportarten, ordnen aber nicht mehr ihre ganze Freizeit den Wettkämpfen unter. Am liebsten machen sie immer noch Radtouren – mit einem der 15 Spezialräder, die sie im Keller stehen haben. Leider fahren die beiden morgen schon wieder ab – wir hätten noch länger plaudern können. Aber wir tauschen unsere Kontaktdaten aus und hoffen, dass wir uns irgendwo mal wieder treffen.
Mittwoch, 4.1.
Beim morgendlichen Brotholen ruft der Rezeptionsmitarbeiter beim Gasmann an, um eine mögliche Uhrzeit in Erfahrung zu bringen. Als wir kurz vor der vereinbarten Zeit um 13 Uhr wieder an der Rezeption stehen, ruft er erneut an. Auf unseren Einwand, dass es ja noch nicht einmal 13 Uhr sei, erklärt er: „Yes, but this is Spain“.
13:15 ist der Gasmann da. Mit Gasflaschen. Unfassbar, dass wir ohne weitere Probleme eine Flasche erstehen können. Dann muss nur noch die Gasflasche mit dem Regulator angeschlossen werden. Wir lesen uns die Regulator-Gebrauchsanweisung mehrfach gegenseitig vor. Nach einer Stunde sitzt der Regulator fest auf der Flasche und es zischt nicht mehr (Zischen nicht gut!), und nach dem gefühlt 20. Versuch kommt auch tatsächlich Gas aus dem Herd. Wir haben es geschafft!
In Zukunft fahren wir nur noch nach Spanien – die Gasflasche haben wir ja jetzt.
Donnerstag, 5.1.2023
Wir machen einen Ausflug nach Vejer de la Frontera, eines der weißen Dörfer Andalusiens, das etwa 40 km entfernt an der N340 liegt. Es gibt hier in der Gegend mehrere Dörfer und Städte mit dem Zusatz „de la Frontera“, also „an der Grenze“. Das bezieht sich auf das umkämpfte Grenzgebiet zwischen Mauren und Christen während der jahrhundertelang dauernden Reconquista. Das Dorf Vejer de la Frontera liegt etwas im Landesinneren und klebt förmlich auf einem Felsen, der eine weite Ebene beherrscht.
Wir fahren beim ersten Ortsschild nach oben, was sich als Fehler erweist. Als wir das LKW-verboten-Schild bemerken, ist es schon zu spät. Wir können nicht mehr wenden. Ein halsbrecherisches Weglein schraubt sich zum Dorf hoch, und bei jedem entgegenkommenden Auto halten wir die Luft an. Im Dorf angekommen, wird es nicht besser. Wir landen auf einer Art Marktplatz. Es hilft nichts, Claus muss wenden. Ein nettes spanisches Pärchen warnt uns auf Spanisch vor irgendetwas, das wir nicht verstehen. Immerhin erklärt mir die Frau in gebrochenem englisch, dass es einen Parkplatz bei der Tourist Information gebe. Die kann ich ins Navi eingeben – und Claus muss nur noch das kleine Sträßchen wieder hinunterkommen, was er aber bravourös meistert.
Die richtige Auffahrt zum Dorf windet sich zwar auch in Serpentinen nach oben, ist aber deutlich breiter. Auf Anhieb finden wir besagten Parkplatz und bekommen in der Tourist noch einen Stadtplan und Tipps für den Besuch. Die Altstadt von Vejer de la Frontera hat eine Burg und eine komplett erhaltene Stadtmauer, jeweils aus unverputzten gebrannten Ziegeln. Der Rest ist strahlend weiß. Es gibt beeindruckende Ausblicke aufs Umland und auf die – ebenfalls blendend weiße – „Neustadt“ auf einem Hügel gegenüber.
Auf einem kleinen Aussichtsplatz steht die Skulptur einer schwarzen verhüllte Frauenfigur, die wir zunächst für eine Nonne halten. Tatsächlich stellt sie eine „Cobijada“ dar, eine voll verschleierte Frauenfigur, wie es in der Gegend üblich war. Nur ein Auge durfte noch herausschauen! General Franko verbot die Verschleierung 1939, womit er wenigstens eine gute Tat in seinem Leben vollbracht haben dürfte.
Wir bummeln durch das Dörfchen, trinken einen Kaffee und werden durch wunderbare Musik in eine kleine Kunstgalerie gelockt. Die Galeristin erklärt auf französisch, dass sie selbst die meist spanischen Künstler aussucht. Wir sind richtiggehend hingerissen von dem Kunstgenuss in schönen alten Räumen und der Untermalung mit klassischer Musik. Am Ende landen wir wieder auf dem Marktplatz, was ohne Auto wesentlich entspannter ist. In einem arabischen Lokal essen wir sehr lecker zu Mittag.
Auf dem Rückweg machen wir einen Abstecher über zwei Dörfer am Meer: Barbate und Zahara de los Antunes. Die Fahrt ist malerisch, vor allem durch das Naturschutzgebiet am Meer. Beide Dörfer jedoch sind sehr touristisch, die sparen wir uns.
Freitag, 6.1.2023
Ich mache eine Radtour ins Hinterland zum Camino de Ojén (Teil der Euroradwegs 8), der auf ein Hochtal im Naturpark Les Alocornales führt. Auf dem Hinweg besuche ich die kleine Marienkapelle Santuario Nuestra Señora de la Luz. Die Kapelle selbst hat geschlossen, aber in einer Seitenkapelle darf man ein Kerzchen anzünden. Vielleicht liegt es am Feiertag heute, jedenfalls wird davon wird rege Gebrauch gemacht.
Der Weg ist super zu fahren (auch ohne Mountainbike) und führt durch grandiose Landschaften. Ich fahre im T-Shirt los, aber sobald sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, wird es kalt. Trotzdem blüht hier schon vieles, und die Vögel zwitschern! keine Winterstille in Tarifa.
Samstag, 7.1.2023
Wir müssen wieder waschen. Wenn es nicht regnet (soll erst morgen der Fall sein), ist alles in paar Stunden trocken!
Außer Wäschewaschen haben wir heute noch ein weiteres Projekt: die Reparatur eines Campingstuhls, dessen Lehne sich immer löst. Claus schraubt die Armlehne auseinander und stellt fest, dass eine Mutter fehlt. Ich biete mich an, selbige in meinem Lieblingsladen, der Ferreria zu besorgen. Ich bin wieder begeistert. Nicht nur vom Sortiment, das vom Bügeleisen bis zum Dieselaggregator reicht.
Man wird auch noch persönlich bedient und bekommt gleich zwei Muttern zur Auswahl vorgelegt. Nach einem Kauf von 2,40 EUR ziehe ich von dannen. Davon waren 2,35 EUR für eine Küchenrolle und 5 Cent für die Mutter. Dass Claus den Stuhl dann ohne dieselbe reparieren konnte, steht auf einem anderen Blatt. Die Stuhllehne ist jedenfalls fest, und der Ausflug war auch super.
Sonntag, 8.1.
Es hat 5-7 Beaufort Wind aus West. Das bedeutet, dass sich die Kite-Surf-Cracks an dem Strandabschnitt direkt bei uns austoben. Es wäre wirklich interessant zu wissen, welche Geschwindigkeiten sie dabei erreichen (schnell!) und wie hoch die Sprünge sind, die sie machen (sehr hoch!). Manche machen richtige Akrobatik in der Luft, drehen sich, nehmen ihr Board in die Hand und fahren ungebremst weiter, sobald sie wieder auf dem Wasser sind. Ein echtes Spektakel.
9.1. – 13.1.2023
Claus: Lange haben wir uns nicht gemeldet. Warum? Unser Leben hat sich verändert😉Seit einer Woche besuchen wir in Tarifa einen Spanisch-Kurs für Anfänger!
D.h., morgens um 7:45 klingelt der Wecker. Es wird schnell gefrühstückt (von Jeannine bereits am Abend vorher vorbereitet). Da es um 8:00 noch stockfinster ist und kalt, frühstücken wir zwangsweise im Auto. Danach werden die dicken Pullis, Daunenjacken und Handschuhe (es ist ca. 12 Grad) angezogen, und wir schwingen uns auf die Räder. Die Fahrt zur Schule dauert rund 20 Minuten – abhängig vom Wind…bei Gegenwind sind es gefühlt 2 Stunden.
Dort angekommen, lasse ich mir einen Nespresso-Kaffee aus der Maschine (1.- Euro, Wasser und Tee sind gratis) und wir gehen in unseren Klassenraum, ca. 4×4 m gross. Es gibt fünf Klassenzimmer. Parallel finden dort weitere (auch Fortgeschrittenen-) Kurse statt, d.h. das morgendliche Anstehen bei der Getränkeausgabe betrifft ca. 25 Schüler/innen und fünf Lehrer. In der Schule sind mit Ausnahme der drei Jugendliche aus unserem Kurs nur Erwachsene verschiedener Nationalitäten.
Wir verbringen täglich vier Stunden (9:30 bis 13:30) mit unserer Lehrerin Bea (40) und vier Mitschülerinnen (Mutter 57, deren 2 Kindern 17 und 13, und der 16 jährigen Freundin). Obwohl also fünf Schülerinnen im Kurs sind, sind wir „Chicos“, da ich als Mann dabei bin. Soweit das „gendern“ in Spanien.
Bea verteilt die Lehrbücher (ca. 3 kg, zu Transportieren im Rucksack auf den Velos….). Dann beginnt sie zu reden, auf spanisch und nur auf spanisch. Für uns extra sehr, sehr, sehr langsam – was aber immer noch sehr, sehr schnell ist. Ich überlege, für welche Sprache ich einen Sprachkurs belegt habe, da ich nichts verstehe. Wenn gar nichts geht, fragen wir auf Englisch nach. Bea spricht etwas englisch, aber kein Wort deutsch. Das Worte- und Grammatik-Ratespiel beginnt.
Immerhin ist es gut 40 Jahre her, dass wir (zumindest Jeannine und ich) uns in einer solchen Situation befunden haben. Ach so: Rauchen darf man im Klassenzimmer auch nicht😢 Nach den ersten sehr langen vier Stunden am Montag frage ich mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Zudem bekommen wir tatsächlich noch Hausaufgaben auf!
Wir radeln zurück zum Campingplatz, und ich geniesse es, nicht vollgetextet zu werden. Damit ich meinen Spanien-Schlaf bekomme, gehe ich jeden Abend bereits gegen 21 Uhr ins Bett. Ja, das Leben besteht nun aus Essen, Lernen und Schlafen. Dienstag bis Donnerstag unterscheiden sich nicht vom Montag, ausser dass es immer komplizierter wird, da wir deklinieren, konjugieren, Vokabeln raten und das „R“ rollen müssen.
Freitag, 13:30: Endlich schulfrei! Wir sind ausnahmsweise mit dem Wohnmobil zur Schule gefahren, da wir anschliessend noch unseren Wocheneinkauf machen wollen.
Zurück dem Campingplatz steht vor der Rezeption ein VW-Bus mit KN-Kennzeichen. Wir sprechen die beiden Insassinnen an…irgendwie sind wir uns spontan so sympathisch, dass wir uns zum Apero bei uns am Stellplatz verabreden. Und tatsächlich kennen die beiden – Gabi (62) und ihre Tochter Lorena (23) – eine Menge Leute und Geschäfte, die wir auch kennen. Es wird ein sehr netter und unglaublich lustiger Abend, den wir gemeinsam in der Bar am Meer bei Tapas und drei (!!) Flaschen Rotwein beenden. Die beiden sind seit zwei Wochen unterwegs und wollen noch weitere zwei Wochen durch Spanien tingeln. Sicher werden wir uns später dann auch mal in Konstanz treffen.
Jeannine: Diese Woche hat unser Spanisch-Kurs in Tarifa begonnen und bestimmt seither unseren Tagesablauf. Wir fahren morgens mit den Rädern um kurz vor neun los, was schonmal ein Highlight des Tages ist. Da die Sonne hier zur Zeit erst um 8:30 Uhr aufgeht, ist das sozusagen frühmorgens. Um die Uhrzeit ist relativ wenig Verkehr, und wir fahren nach Osten, buchstäblich der Sonne entgegen. Wenn die nicht von Wolken verdeckt ist, blendet das so, dass man sich eine Sonnenschutzklappe wünscht, Jeder Morgen ist anders und anders schön. Am Dienstag gibt es eine dicke Nebelbank auf dem Meer, die sich langsam auflöst.
In unserem Kurs sind wir zu sechst, fünf „chicas“ und Claus. Bea, unsere Spanischlehrerin, spricht seit dem ersten Tag an ausschließlich spanisch mit uns. Nur wenn es gar nicht anders geht oder für Übersetzungen wechselt sie auf englisch. Die erste Woche ging es um die richtige Aussprache der Buchstaben (viel ch, viel th und noch mehr rollendes r), um Zahlen und um die Konjugation von Verben. Letzteres üben wir mehrfach mit einem Memory, wobei die beiden Töchter erstaunliche Fähigkeiten beweisen und das Konjugieren deutlich weniger Stellenwert bekommt als das Sammlen möglichst vieler Karten.
Es gibt eine kleine und eine große Pause, fast wie in der Schule. In der großen lernen wir nach und nach die Teilnehmer der anderen Kurse kennen. Es sind vorwiegend Deutsche, aber auch einige Holländer. Viele echte Aussteiger und natürlich ganz viele Surfer. Die Familie, die unseren Kurs besucht (der Vater ist bei den Fortgeschrittenen) hat z.B. in Deutschland alles aufgelöst, die Töchter von der Schule abgemeldet und wohnt jetzt mit zwei Riesen-Hunden und einer Katze im Wohnmobil. Sie wissen nicht, wie lange sie bleiben bzw, weiterreisen, ob sie sich in Spanien oder woanders niederlassen oder zurück nach Deutschland kehren wollen. Uns ist nicht ganz klar, wie die Töchter beschult werden. Überhaupt fragen wir uns. wie es für Teenager sein muss, aus dem Freundeskreis herausgerissen zu werden. Einer der Holländer lebt auf einem Boot, ist Veganer, surft und ist schon mit dem Fahrrad nach Santiago di Compostela gefahren. Solche Geschichten hört man hier ganz häufig. Tarifa ist ein Eldorado für Aussteiger aller Art. Manche arbeiten noch irgendwie, teilzeit und online, manche haben noch einen Wohnsitz zuhause (wie z.B. ein Paar aus Litzelstetten, die im Sommer auf dem Bodensee segeln), andere haben alle Brücken abgebrochen. Echt spannend.
Montag, 16.1.23
Claus: Eine neue Woche Spanisch-Kurs hat begonnen. Früh aufstehen, schnell frühstücken, warm anziehen und nach Tarifa fahren. Dann kommt Bea in den Klassenraum und beginnt spanisch zu reden… mehr oder weniger vier Stunden lang. Gestern und heute redeten für 30 Minuten auch mal andere: Wir sahen einen spanischen Lehrfilm.
Das Highlight am Dienstag: das Ocean Race führte durch die Straße von Gibraltar, „direkt“ an Tarifa vorbei – bei Windstärken bis zu 70 km/h. Wir sind wohlweislich nicht mit dem Rad, sondern mit dem Wohnmobil in die Stadt gefahren. Selbst das Laufen war schwierig.
Heute ist Mittwoch und wir sind noch kurz am Strand (17:00).
Freitag, 20.1.
Die ersten zwei Wochen unseres Kurses sind geschafft. Halbzeit! Endlich Wochenende!
Hier noch ein Foto vom morgendlichen Weg zur Schule:
Weil Freitag ist, genehmigen wir uns Kaffee und Kuchen in einem Café am Hafen. Selbst die Toiletten der Cafés i. Tarifa sind maritim gestaltet:
Sonntag, 22.1. Claus: Habe gestern eine Entscheidung getroffen: ich werde den Spanischkurs abbrechen. Aus verschiedenen Gründen:
1. Ab Montag bekommen wir eine neue Lehrerin und sind in einem anderen Kurs. Da anscheinend zwei weitere Schüler hinzukommen, wäre unser Kurs dann zu groß. Finde ich gar nicht gut, da ich mich doch an Bea (unsere Lehrerin) gewöhnt habe und auch an unsere anderen Kursteilnehmerinnen. Schade!
Es wird nächste Woche kälter (morgens ca. 7 Grad) was mir bei der täglichen Velotour mit dem ebike zu kalt ist. Besonders auch deswegen, weil die Klassenräume noch kälter sind, als es draußen ist. Weiter erkälten möchte ich mich echt nicht. Auch gefällt mir das frühe ausstehen mit dem kurzen Frühstück nicht.
So werden wir morgen versuchen, ob Jeannine noch meine zwei weiteren Wochen Kurs bekommen kann (sie hätte dann 6 Wochen). Das wäre eigentlich perfekt, da sie sehr gut im Thema ist und ihr das (Sprache) Lernen Spaß macht und viel leichter fällt als mir . Schauen wir mal…
Montag, 23.1.
(Claus:) Jeannine verhandelt mit dem Schulleiter…und er willigt ein. D.h. statt je 4 Wochen Kurs, macht Jeannine nun 6 Wochen (und ich bin nach 2 Wochen raus). Ein weiterer Vorteil: Der neue Kurs besteht, inkl. Jeannine, nur aus drei Schülern. Also fast Privatunterricht.
So können wir gemeinsam ein kurzes Frühstück machen und dann radelt Jeannine los. Ich kümmere mich dann um den Abwasch, den Müll usw., sodass wir dann am Nachmittag auch etwas mehr Zeit haben. Was in der Schule Neues dazukam erzählt mir Jeannine und ich höre noch Vokabeln ab. Eine gute Lösung für uns beide – hoffen wir.
Helga und Maria, ihre Freundin, kommen wie jeden Tag auf ein kurzes Gespräch vorbei und erzählen, dass sie Spargel sammeln gehen. Angeblich soll es wilden, grünen Spargel an/auf den Wiesen geben. Ich sage, dass sie mir gerne auch einen Korb voll mitbringen können.
Auf der Rücktour kommen sie, mit sehr magerer Beute, wieder vorbei und Maria schenkt mir netterweise ihre komplette Ernte.
Ja, so bleiben wir in Kontakt mit den Mitcampern, da wir an zentraler Position stehen (hier müssen alle vorbei, die ihren Standplatz oberhalb von uns haben). So ergeben sich eigentlich jeden Tag neue, kurze oder längere, Gespräche. Zudem sind wir ja fast schon Dauercamper, da wir nun rund sieben Wochen hier sind. Durch die Spanisch-Kurs-Verlängerung kommen nun ja nochmals ca. vier Wochen hinzu.
Wir sind aber nicht die einzigen, die hier länger bleiben. Neben uns steht ein Münchner, der seit Oktober unterwegs ist und bis ca. April bleibt. Er arbeitet als Programmier im Homeoffice. Das witzige: Sein Chef weiß nicht wo sich dieses Home-Office befindet! Solange er seine Arbeit erledigt, zwischen Surfen und Sonnen, scheint dies aber kein Problem zu sein. Schön ist auch, dass sich unsere neuen Bekannten aus Köln per WhatsApp gemeldet haben. Sie sind wieder im Alltag angekommen.
Dienstag, 24.1.
(Claus:) Jeannine fährt den zweiten Tag alleine in ihre neue Klasse und ich frühstücke später meine Croissants im Auto, da es heute ziemlich frisch ist. Trotzdem wird es später noch sehr schön.
Ich lerne dann noch eine Stunde Spanisch mit „Babbel“. Wir wollen doch mal sehen, welche Lernform am Schluss „gewinnt“.
Mittwoch, 25.1.
Nichts außer Regen und Kälte (ca. 12 Grad). Um 17:50 wenigstens noch ein schöner Sonnenuntergang.
Montag, 23.1. bis Freitag, 27.1.
Jeannine: Seit Montag besuche ich die Schule ohne Claus und bin in einer anderen Klasse, was ein bisschen Eingewöhnung braucht. Die Lehrerin Maria macht gelegentlich den Eindruck, als hätte sie keine Lust zum Unterrichten. Andererseits hat sie eine komödiantische Ader und kann sehr lustig sein, wenn sie uns mit Händen und Füßen und viel Mimik etwas vorspielt.
Wir sind nur drei Schüler: Alex (wahrscheinlich Alexander), ein Russe Mitte vierzig, der außer russisch nur miminal englisch spricht und sich sehr schwer tut. Er macht einen etwas grimmigen und unzugänglichen Eindruck. Entsprechend überrascht sind wir, als er sich bei einer Übung auf spanisch als lustig beschrieb. Aber das ist er tatsächlich, wenn er auftaut. Und dann ist da noch Jonathan, 23jähriger Lehramtsstudent aus Kiel und passionierter Kite-Surfer. Er gehört offensichtlich zu der Gruppe der Cracks, die beim richtigen Wind in der Bucht direkt vor der Isla de Paloma ihre Sprünge und Luft-Akrobatik machen. Beim nächsten Mal, wenn es richtig bläst, muss ich mir das genauer anschauen.
Ein Highlight der Woche ist der Besuch bei einer spanischen Friseuse. Ich habe es dringend nötig, habe aber auch ein bisschen Angst davor, wie ich hinterher aussehen werde. Der Salon hat den Charme einer Eisdiele in einem italienischen Industriegebiet. Hohe Räume, Neonröhren an der Decke, kein Stück Irgendwie gearteter Dekoration. Es ist richtig kalt, vor allem, weil die Tür offen bleibt. Während sie schneidet, redet die Friseuse unablässig mit ihrer Kollegin und anderen Kundinnen in schnellem Spanisch, das mir genau so vorkommt: spanisch! Ich verstehe kein Wort. Aber schließlich redet sie auch nicht mit mir. Dafür schneidet sie meine Haare raspelkurz, was immerhin die Aufmerksamkeit der anderen Kundinnen erregt. Am Ende bin ich sozusagen im Zentrum der Aufmerksamkeit und froh, als die Prozedur vorüber ist. Immerhin war der Friseurtermin unschlagbar billig: 19 EUR habe ich bezahlt. Und die Haare wachsen ja wieder.
In der dritten Schulwoche zieht das Lerntempo an, allein deswegen, weil täglich dutzende neuer Vokabeln dazu kommen. Und Verben – von denen leider erheblich viele unregelmäßig sind. Und viele Synome, bei denen auch Maria nicht immer erklären kann, wann man welches verwendet. Na ja. Zumindest bei Einkaufen und im Restaurant stellen sich die ersten Erfolgserlebnisse ein. Auch mit Maria, der spanischstämmigen Freundin von Duro-Helga kann ich schon erste einfache Sätze plaudern.
Am Freitag wird mir die nächste Änderung mitgeteilt. Wie sich herausstellt, hat Jonathan nur eine Woche Sprachschule gebucht und ist ab Montag nicht mehr da. Alex wiederum hat zwei Tage gefehlt (wie offensichtlich auch schon in der Vorwoche), ist aber noch dabei. Alex (wenn er da ist) und ich kommen wieder in meine ursprüngliche Klasse, die mit 7 Schülern dann recht groß sein wird. Ich lasse das mal ganz entspannt auf mich zukommen. Lernen werde ich trotzdem was.
Samstag, 28.Januar
Im Spanischkurs bekommt man auch Ausflugstipps für die Umgebung. Es gibt einen Berg namens Betis ganz in der Nähe, von dem aus man schöne Ausblicke haben soll. Das Wetter ist genial, sonnig und fast windstill. Ich fahre mit dem Rad zu einem Wanderparkplatz, von dem aus die Tour startet. Schon die Zufahrt ist wunderschön und eine Neuentdeckung. Die Wanderung führt einmal um den Berg herum und ist mit zwei Stunden angegeben. Ich brauche drei, weil der Weg nicht markiert ist und ich mich mehrmals verlaufe. Mitten im Wald bei der Suche nach dem Wanderweg kommt mir eine Gruppe junger Deutscher entgegen, die ich anspreche. Und wer ist dabei? Jonathan aus dem Spanischkurs!
Der Blick von oben ist phantastisch, und zwar in alle Richtungen.. An einer Stelle kreisen mehrere Geier über mir, und auf dem Rückweg gibt es die schönsten Ausblicke auf Tarifa und den Jbel Musa, die ich bisher gesehen habe.
(Claus) Ich bin ja eher abends unterwegs..:-)
Montag, 30.1. bis Sonntag, 5.2.
Jeannine: Die Woche beginnt am frühen Montag morgen mit einem krachenden Gewitter. Es donnert so heftig, dass wir aus dem Schlaf schrecken. Danach folgt sturzflutartiger Regen. Zur gleichen Zeit hagelt es in Tarifa, und die Wohnmobilstellplätze werden teilweise überflutet. Unsere Spanischlehrerin Bea zeigt Fotos von Hagelhaufen, die aussehen wie Schnee und kann es gar nicht fassen, dass so etwas in Tarifa vorkommt. Radfahren ist heute nicht, weil es auch tagsüber schüttet und stürmt. Claus fährt mich und holt mich auch wieder ab.
Ich bin wieder in meiner „alten“ Klasse. Inzwischen ist noch Nadja dazugestoßen, eine Italienerin, der Spanisch naturgemäß leicht fällt. Sie wohnt in der Nähe von Bologna und arbeitet in einem Kulturzentrum, das sich dem italienischen Partisanenkampf während des zweiten Weltkriegs widmet. Da wir nebeneinander sitzen, ist sie meine neue Partnerin bei den Sprachübungen.
Claus hat auf dem Campingplatz ein Ehepaar aus Mönchengladbach kennengelernt. Die beiden, Herbert und Dagmar, nehmen uns am Mittwoch Nachmittag mit dem Auto auf eine kleine Exkursion mit in die Berge oberhalb von Bolonia. Da war ich auch schon mal mit dem Fahrrad gewesen und hatte die Aussicht bewundert. Diesmal geht es noch ein Stückchen höher, und der Fokus liegt im Himmel. Wir bewundern eine ganze Truppe von Gänsegeiern, die majestätisch über uns kreisen und in den Felsen am Nestbauen sind. Wir bleiben über eine Stunde da oben, und es ist wie Meditation. Die Geier kreisen, der Himmel ist blitzeblau, und die Aussicht grandios.
Danach gibt‘s noch eine Tasse Kaffee und eine Verabredung zum Pizzaessen.
Am Donnerstag macht die ganze Schule (wobei wir momentan nur 9 Schüler sind) eine Exkursion zum Kastell von Tarifa. Schulleiter Gaspar erklärt uns sachkundig die historischen Hintergründe und führt uns durch die Räumlichkeiten. So erfahren wir, dass das Kastell bis in die 1930er Jahre direkt ans Meer angrenzte, und der Zugang zur Stadt durch eines der Tore führte. Erst dann wurde der Hafen gebaut, der heute vor dem Kastell liegt.
Das Kastell selbst wurde nach der Eroberung Tarifas im 10. Jahrhundert von den Mauren gebaut. Nach der Rückeroberung durch die Christen 1292 wurde ein (maurischstämmiger) Statthalter namens Guzman in der Burg eingesetzt. Bei einem Angriff der Mauren, die die Stadt 1294 wieder in ihre Hände bringen wollten, geriet Guzmans Sohn in die Hände der Araber. Die Mauren drohten Guzmans Sohn umzubringen, wenn er die Stadt nicht aufgeben würde. Guzman blieb standhaft und weigerte sich, die Stadt für seinen Sohn zu opfern. Das Flehen seiner Frau ignorierend warf er den Mauren noch einen Dolch für die Ermordung seines Sohnes zu. Für diese Heldentat ging Guzman als „il bueno“ (der Gute) in die Geschichtsbücher ein. Überdies erhielt er von König Sancho IV von Kastilien umfassende Fischereirechte sowie Ländereien, die den Reichtum seiner Familie begründeten. Was mit dem Sohn passiert ist, steht nirgendwo.
Am Freitag waschen wir blitzschnell zwei Maschinen Wäsche, weil es sonnig und schön ist. Abends gehen wir mit Herbert und Dagmar Pizza essen. Der Wirt ist Deutscher und Borussia-Fan. An den Wänden hängen vier bis fünf riesige Fernseher, auf denen natürlich Fußball läuft. Die ganze Kneipe sieht aus wie ein Fanshop, und das Publikum ist selbstredend überwiegend deutsch. Nach der Pizza gibt es noch eine Absacker in der Campingbar. Ein sehr netter Abend.
Schon seit Donnerstag habe ich Halskratzen. Trotz sofortiger Teekur mit Infektblockertee kann ich die Erkältung nicht mehr abwenden. Samstag bis Montag liege ich flach und bewege mich kaum vom Wohnmobil weg.
Das Auto ist fertig gepackt, das Haus geputzt, die Fensterläden geschlossen. Trotzdem ist es 12:00, bis wir loskommen. Aber diese Reise ist in mehrfacher Hinsicht eine Premiere: Noch nie wollten wir so lange wegfahren (3 Monate), noch nie hat sich die Abfahrt so lange verzögert (6 Wochen), weil noch nie so viele Dinge dazwischen kamen (Wechsel der Krankenkasse, Erkältungen, schließlich noch eine abgebrochene Zahnkrone).
Aber: Jetzt sind wir endlich gestartet. Und noch eine Premiere: Bei Schneetreiben! Es ist 1 Grad, das Olivenöl im Wohnmobil ist ganz sulzig, und Campingstimmung kommt definitiv nicht auf. Das wird sicher noch einige Tage so bleiben, bis wir in wärmere Gefilde kommen.
Schnee und Schneeregen begleiten uns bis Höhe Yverdon. Dann reißt plötzlich der Himmel auf, es ist trocken und klar.
Einen Stau wegen eines Unfalls am Genfer See überbrücken wir mit einer Kaffeepause und überlegen noch, ob wir von der Autobahn runterfahren sollen. Aber kurz darauf löst sich der Stau auf. In Aix-les-Bains finden wir den Stellplatz diesmal auf Anhieb, und auch das Einchecken an der Schranke geht einfacher, nachdem wir begriffen haben, welches der Eingang ist. Jedenfalls sind wir kurz vor 19 Uhr installiert. Gut, dass das Gulasch schon vorgekocht ist. Noch ein Gläschen Rotwein und ab in die Heia.
Sonntag, 12. Dezember
Um 9:20 sind wir auf der Strecke, für unsere Verhältnisse also frühmorgens. Es ist sehr kalt und windig. Und es wird immer kälter. Auf der Strecke entlang der Alpen erreichen wir mit -4 Grad unseren Minusrekord.
Ab dann geht es langsam aufwärts mit den Temperaturen. Wir freuen uns über jedes Grad. Ohne Komplikationen cruisen wir durch Frankreich. Es ist Sonntag, keine LKWs auf der Strecke. Kurz vor unserem heutigen Ziel gibt es direkt an der spanischen Grenze doch nochmal einen kleinen Stau wegen eines Unfalls auf der Autobahn. Immerhin kommen wir so in den Genuss einer Stippvisite durch den Grenzort La Jonquera.
Abends übernachten wir auf einem Campingplatz in L‘Escala, wo wir von einer Freundin herzlichst empfangen und bewirtet werden. Ihr Lebensgefährte gibt noch einige Abrisse zur Geschichte als Dreingabe. So erfahren wir, dass das historische Katalonien auch Roussillon umfasste und dass in Perpignan die Straßenschilder zweisprachig sind.
Montag, 13. Dezember
Unser Ziel heute: So weit zu fahren, wie wir kommen. Das sind dann wie gestern etwas über 600 km. Auf der Autobahn, die um Barcelona und Valencia herum führt, fahren mehr LKWs als PKWs. Es ist unglaublich dichter Verkehr, die LKWs überholen sich auch gerne gegenseitig, was zu Rückstaus bei den PKWs führt. Aber im Gegensatz zu deutschen Autobahnen geht es hier völlig entspannt und friedlich zu. Keine Lichthupen, kein Drängeln. Nicht einmal das Tempolimit von 120 km/h wird ausgereizt.
Zwischendurch regnet es, aber vor allem wird es mit jedem Kilometer wärmer. Wir legen Schicht für Schicht unserer Kleidung ab und stellen fest dass wir wahrscheinlich falsch gepackt haben. Zu viele Wollmützen und zu wenige T-Shirts. Na ja, es gibt ja auch Geschäfte in Spanien.
Kurz vor der Ankunft verfahren wir uns immer mal gerne. So auch heute. Mit drei Umwegen kommen wir bei Einbruch der Dämmerung (gegen 18 Uhr wohlgemerkt – hier ist ja länger hell) auf einem extrem idyllischen Campingplatz an. Er liegt in the middle of nowhere, außerhalb eines kleinen Dörfchens namens Sax. Rundherum nur Olivenplantagen, weites Land und etwas entfernt Hügelketten. Die Betreiber sind ein Englisch-französisches Ehepaar und haben den Campingplatz erst Anfang des Jahres übernommen. Charlaine führt mich herum, zeigt mir die Sanitäranlagen und einen Pfefferbaum und ist überhaupt ganz reizend. Wie schön der Platz angelegt ist, sehen wir am nächsten Tag genauer. Den werden wir uns merken.
Dienstag, 13. Dezember
Wir sind in Andalusien. Es ist karg, die Berge und Hügel sehen aus wie spärlich bewachsene Lehmhaufen, gelegentlich mit ein bisschen Felsen. Wo das Land nicht bewirtschaftet wird, herrschen wüstenartige Zustände. In den Städten (wir fahren an Alicante und Murcia vorbei) sieht man die typischen Bettenburgen, an den Rändern viel Gewerbe auf großen Flächen. Land ist hier ja ausreichend vorhanden. Es gibt riesige Orangen- und Olivenplantagen, die natürlich bewässert werden müssen. Daneben: Wüste. Und dazwischen: weites, karges Land, mit zum Teil bizarren Bergformationen.
Unterwegs erreichen wir unseren Temperaturrekord nach oben: 25 Grad! Auf dem Weg zu unserem Ziel im Naturpark Cabo de Gata an der Küste wird das Land flacher. Wir sind in der Region Almería und sehen die ersten Ausläufer des berüchtigten „Mar Plastico“. Quadratkilometer voller mit Plastik abgedeckter Gewächshäuser, in denen Gemüse für halb Europa angebaut wird. Bewässert aus Brunnen, die das Grundwasser langsam zum Versiegen bringen.
Die letzten Kilometer durch den Naturpark fahren wir durch leere, karge Landschaft. Die Dörfer sehen ein bisschen aus wie im Western, einmal rollt doch tatsächlich ein Strohballen vor uns über die Straße. Und tatsächlich ist ja auch ganz in der Nähe die einzige Wüste Europas (bei Tabernas), wo unter anderem Sergio Leone seine Filme gedreht hat.
Unser Campingplatz heute liegt etwas außerhalb des Dörfchens Las Negras und ist nur über ein etwas abenteuerliches Sträßchen mit tiefen Schlaglöchern erreichbar. Wir sind am Meer, an einer der schönsten Küsten Andalusiens. Bei blauem Himmel sieht das sicher toll aus. Heute jedoch ziehen schwarze Wolken aus den Bergen Richtung Meer. Es fängt an zu stürmen, und nachts wackelt unser Wohnmobil wie noch nie zuvor.
Mittwoch, 14. Dezember
Heute läuft nicht viel. Es regnet fast den ganzen Tag, und Claus muss sich von einem wüsten Hustenanfall erholen. Wir lesen, schreiben, schlafen. In einer Regenpause laufe ich ins Dorf, aber da ist auch nicht viel los. Immerhin entdecke ich einen Wanderweg, den ich mir für den nächsten Tag vornehme.
Donnerstag, 15. Dezember
das Dorf Las Negras ist im Sommer wahrscheinlich recht trubelig, aber um diese Jahreszeit haben praktisch alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Geöffnet hat nur „Komo Komo“, ein gut sortierter Lebensmittelladen, Drogerie, Bäcker, Metzger und Immobilienmakler in einem. Dafür wird überall für die nächste Saison gebaut und gewerkelt.
Der Wanderweg ist Teil des Küstenwegs und führt zur Bucht San Pedro, die nur zu Fuß oder vom Meer aus erreichbar ist. Schilder wiesen darauf hin, dass die verfallene Burg, die hier steht, ursprünglich zur Bekämpfung von Piraten errichtet wurde. Es ist völlig ruhig, nur wenige Wanderer sind unterwegs. Als plötzlich die Sonne rauskommt und das Meer zwischen den Hügeln in gleißendes Licht taucht, wird klar, warum der Naturpark Capo de Gata unter Naturfreunden so beliebt ist.
Freitag, 15. Dezember
Durch den Naturpark führen nicht nur diverse Wanderwege, sondern auch ein europäischer Fernradweg. Den fahre ich heute ein Stück nach Süden bis nach San José, einem etwas größeren Touristenörtchen. Der Weg führt zunächst durch ein weites Tal (eigentlich ein Krater, entstanden durch einen eingestürzten Vulkan) am ehemaligen Bergbau- und Goldgräberort Rodalquilar vorbei. Die Landschaft ist karg, aber bizarr und berückend schön. Es geht bergauf und bergab, und immer wieder gibt es neue Ausblicke.
In San José gibt’s einen Kaffee als Stärkung, bevor es wieder zurück geht, erfreulicherweise mit Rückenwind.
Samstag, 17. Dezember
Bevor wir loskommen, müssen wir noch eine Knobelaufgabe lösen: Ein Greifarm an unserem Fahrradträger lässt sich nicht öffnen. Ohne Greifarm kein Fahrrad und keine Abfahrt. Wir versuchen es mit Überlegung, mit Ruckeln, mit Gewalt, aber der Riegel, der sich bewegen muss, tut das nicht. Wir überlegen schon, ob man das Fahrrad mit Tape am Ständer befestigen könnte. Aber irgendwann kommt die rettende Idee: Mit einem kleinen Stöckchen entriegeln wir das Teil und können die Räder montieren.
Wir fahren zunächst die gleiche Strecke durch den Capo de Gata, auf der ich gestern mit dem Rad unterwegs war. Und sind wieder begeistert von dieser herben Landschaft. Danach geht es Richtung Almería, und von dort aus immer der Küste entlang bis Tarifa. Das „mar plastico“ zieht sich über rund 100 Kilometer, ungelogen. Im Flachland geht es optisch nahtlos ins Gleißen des Meeres über. Im Bergland kleben die Gewächshäuser an den Hängen. Dazwischen Oliven- und Orangenplantagen. Und direkt daneben wüstenartige Öde. Wie hier überhaupt etwas wachsen kann, ist ein Rätsel.
Gegen 17:30 sind wir auf unserem Campingplatz in Tarifa – noch im Hellen. Die Sonne geht hier momentan erst gegen 18:15 unter (allein das ist schon die Reise wert). Wir installieren uns, plaudern mit dem britischen Ehepaar nebenan und beginnen unseren Aufenthalt in der Campingbar. Wir sitzen auf der Terrasse, genießen den Sonnenuntergang, die Lichter von Tanger, die Tanker, die sich durch die Straße von Gibraltar schieben. Die ohrenbetäubende Brandung ergänzt die melancholische Flamencomusik aus der Bar. Wir sind angekommen!
Montag, 19 Dezember
(Claus) Und so etwas gibt es vielleicht nur beim Campen!
Wir wollten kurz einen Kaffee in der Bar direkt am Meer trinken und ein paar Weihnachtskarten schreiben.
Wir waren ganz alleine auf der Terrasse, als diese kleine, sehr zierliche, ältere Dame auftauchte und etwas ratlos wirkte. Sie sprach uns an und fragte, ob wir deutsch sprächen. Sie wollte sich nach den Preisen und der Qualität des Essens in der Bar erkundigen, besonders, da sie einen Aushang gesehen hatte, bei dem das Abendessen EUR 55.- kostete. Wir konnte sie beruhigen, in dem wir erklärten, dass es sich dabei um das Weihnachtsmenue (inkl. Getränken) handelte.
Da die Frau sehr nett scheint, frage ich sie ob sie nicht einen Kaffee mit uns trinken wolle.„Ja, aber ich habe meine Portemonnaie nicht dabei!“ Kein Problem, wir laden sie ein!
Sie nimmt Platz…und dann kamen wir nicht mehr aus dem Staunen heraus. Sie stünde auch auf dem Campingplatz, mit ihrem „Panzer“, sagte sie. Wie sich herausstellte, fährt sie ein DURO! Einfacher gesagt: einen kleinen Militärlaster! Dieser wird von der MOWAG in Kreuzlingen (!!!) gebaut und nicht an Private verkauft. Sie hat das Fahrzeug vor gut 20 Jahren auf einer Messe gesehen, konnte es aber nicht kaufen, da nur fürs Militär gedacht. Ein halbes Jahr später rief man sie an und sagte ihr, dass sie Testfahrerin werden könne.. Man sicherte ihr komplette Unterstützung mit Teilen und bei Problemen zu. Also kaufte sie das Chassis von der damaligen Firma Bucher (die später von der MOWAG aufgekauft wurde) und ließ von einer anderen Firma eine Wohnkabine darauf setzen. Stand heute hat sie mit dem Fahrzeug 330.000 Kilometer zurückgelegt – und wenn sie mal ein größeres technisches Problem hatte, egal auf welchem Kontinent, flog ein Mechaniker mit den Ersatzteilen ein.
Anzumerken ist nicht nur, dass sie auf fünf Kontinenten unterwegs war, sondern meistens alleine! Wir schätzen, dass sie ungefähr 80+ ist (sie ist seit 1962 im ADAC) und noch immer reist sie alleine um die Welt. Nein, Angst habe sie nicht: „wenn der Teufel mich holen will, wird er mich finden! Warum dann Zuhause warten?“ In der Branche (mittlerweile kann man gebrauchte DUROs aus Armeebeständen kaufen) ist sie bekannt als die „DURO Helga“. Sie besitzt original Reparatur-Handbücher, Messgeräte für den DURO, u.a. Während Corona, als Camper Marokko nicht mehr mit den Fahrzeugen verlassen durften, rief der ADAC bei ihr an, ob sie eine Idee hätte wie man die hunderten von Wohnmobilen wieder nach Hause bekommt!!
Eine unglaubliche Begegnung. Sie hatte soooo viel zu erzählen von ihren Reisen und Erlebnissen, dass über zwei Stunden wie im Flug vergingen – und Jeannine natürlich keine Karte geschrieben hat.
Wir freuen uns, sie die Tage an ihrem Auto besuchen zu dürfen und werden dann sicher auch Fotos nachreichen können.
Ja, so ist Camping! Zumindest, kann es so sein! Ein absolutes Highlight.
Dienstag, 20. Dezember
Wir ziehen um. Der Platz, der uns zugewiesen wurde, hat uns von Anfamg an nicht gefallen. Zu viel Schatten, zu viele Bäume (im Sommer sicher ganz super), zu viel Lärm von der Straße. Wir fragen einfach mal – und siehe da, wir bekommen einen anderen Platz, diesmal oberhalb der Straße. Jetzt haben wir volle Sonne und unverstellten Blick aufs Meer. Die Sonnenuntergänge können wir jetzt direkt vom Wohnmobil aus sehen.
Nachmittags besuchen wir unsere neue Freundin „Duro Helga“ und ihr Militär-Mobil. Helga selbst ist ca. 155 cm groß und damit nur unwesentlich größer als die Reifen ihres Gefährts. Aber sie kennt jedes Kabel persönlich und ist die 330000 km selbst und meistens allein gefahren.
Nach der Besichtigung des Helga-Mobils mache ich noch eine kleine Fahrradtour ins Hinterland. Der Weg entpuppt sich als ausgewachsene Mountainbike-Strecke, und ich versinke im Matsch. Es gibt sehr viele Tiere: Kühe mit beeindruckend spitzen Hörnern, schwarze Schweine, Ziegen, Schafe und Pferde. Ein Fohlen verweilt vor dem Auto vor mir, während sich seine Mutter vom Autofahrer durch das Fenster kraulen lässt. Das Fohlen sieht keinen Grund auszuweichen, weshalb die ganze Affaire gut 15 Minuten in Anspruch nimmt. Sehr ländlich!
Mittwoch, 21. Dezember
Wir müssen unser Gasproblem lösen. Unsere 11 kg-Gasflasche reicht zwar noch, aber wir können sie nicht gegen eine volle tauschen, weil es überall andere Flaschentypen gibt. Europäische Normen gibt es vielleicht bei Gurken, aber nicht bei Gasflaschen. Wir können auch nicht einfach in Spanien eine neue Flasche kaufen, weil man dafür eine Steuernummer benötigt (kein Witz). Der Campingplatz würde uns eine Flasche ausleihen, aber für den Anschluß an unseren Gasschlauch brauchen wir einen Adapter und etwas, das sich Regulator nennt. Wo wir das bekommen können, markiert uns der Campingplatzchef auf einem Stadtplan von Tarifa: in einer Ferreria, einer Eisenwarenhandlung.
Der Besuch dieses großen, dunklen Ladens, von oben bis unten vollgestopft mit Haushaltswaren, Werkzeug und Elektrozubehör, ist ein Erlebnis. Wo bitteschön gibt es bei uns denn noch Eisenwarenhändler? Hier wird auch noch bedient! Der Chef spricht dankenswerterweise drei Brocken englisch, und ich kann mein Anliegen erklären. Den Regulator hätte er da, aber ohne Adapter passt der nicht auf unseren Gasschlauch (den ich dabei habe). Geduldig erklärt er mir, wo ich einen Adapter bekommen könne und malt dazu ein kleines Plänchen. Weitere Alternativ-Läden in Algeciraz werden sorgfältig auf der Rückseite des Plänchens notiert.
Der zweite Laden ist eine Art Reparaturwerstatt. Der Mitarbeiter spricht nur spanisch, die Verständigung fast nicht möglich. Immerhin wird klar, dass ich um 16 Uhr wiederkommen soll. Nachmittags ist dann offensichtlich der Chef da und schraubt zu meiner Begeisterung einen Regulator direkt auf unseren Gasschlauch, Adapter also nicht nötig. Aber zu früh gefreut: Die Konstruktion ist zu hoch, um auf die Gasflasche zu passen. Ich soll doch bitte am nächsten Tag um 16 Uhr wiederkommen. Mal schauen…
(Claus) Während Jeannine also mehrfach mit dem Velo nach Tarifa fährt, kommt Helga kurz vorbei. Nach 5 Minutan fragte ich sie, ob sie nicht sitzen möchte? Nach einer Stunde frage ich, ob ich ihr etwas anbieten könne (allerdings hat Jeannine ja den Gasschlauch mit und so gibt es keinen Kaffee, sondern nur ein Glas Wasser). Nach ca. vier Stunden gebe ich ihr eine Fleece-Decke, da es mittlerweile recht frisch geworden war. Jeannine ist inzwischen auch wieder zurück von ihrem „Technik-Ausflug“.
Mein Nachmittag besteht also aus einem langen Gespräch (80% Monolog) mit Helga. Er geht um Behördenwillkür, den Besitz von vier (!) Reisepässen (3 deutsche, mit Laufzeit 10, 7 und 7 Jahren und einem französischen, da sie auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt). Da sie ständig in der Welt unterwegs war, musste sie immer überlegen, welchen Pass sie einsetzt um an der entsprechenden Grenze keine Probleme zu bekommen. Sehr spannend! Hat etwas von James Bond!
Sehr ausführlich erzählt sie uns dann noch von ihrem letzten Fahrzeugservice, der mit über EUR 20.000.- abgerechnet, aber nie wirklich gemacht wurde und mit einem Gerichtsverfahren endete. In dem Moment sind wir sehr froh, „nur“ einen Peugeot zu haben und nur nach einem Gasadapter zu suchen. Sollte dies bei uns am Schluss funktionieren, möchte Helga übrigens auch einen haben.
Irgendwann fragen wir sie dann auch nach ihrem Alter: Sie wurde 1940 geboren, ist also heute 82 Jahre alt. Das Fahrzeug hat sie sich (ohne ihren Mann einzuweihen) mit 60 gekauft.
Donnerstag, 22.12.
Ich verbinde eine Radtour mit einem weiteren Besuch im Gasflaschenadapterladen. Die Tour führt zunächst entlang der N340. Danach kommt ein weißes Dorf namens Facinas, und ab da führt der Weg durch den Nationalpark Les Alocornales. Diesmal entdecke ich auch einige der gleichnamigen Korkeichen.
Ich vermeide Naturstraßen, weil ich nicht wieder im Matsch versinken will. Aber auf diesen kleinen Sträßchen durch den Naturpark ist praktisch kein Verkehr, es ist eine Traumstrecke.
Pünktlich um 16 Uhr bin ich wieder im Laden. Der hat jedoch geschlossen. Ich trinke einen Kaffee und probiere es eine Stunde später wieder. Gleiches Resultat. Na ja. Wir haben ja Zeit…
Abends können wir erstmals bei Sonnenuntergang draußen essen. Es ist deutlich wärmer als die Tage davor und vor allem windstill. Ein Träumchen.
Freitag, 23.12.
Während sich Claus ums Wäscheaufhängen kümmert, versuche ich nochmal mein Glück im Laden. Vergeblich. Ich rufe die Nummer an, die dransteht, aber natürlich spricht der Ladenbesitzer nur spanisch. Ich glaube zu verstehen dass ich eine Stunde später nochmal kommen soll. Die Stunde verbringe ich in der Markthalle von Tarifa, wo es ein phantastisches Angebot von frischem Fisch, Fleisch und Gemüse gibt. Die Geräuschkulisse ist wie auf einem Basar, dabei ist die Markthalle eher klein. Danach wieder zum Laden, der natürlich wieder geschlossen hat.
Samstag, 24. Dezember
(Claus) Heiligabend bei 20 Grad im Schatten ist schon speziell. Es ist so warm (im Auto tagsüber fast 25 Grad), dass wir uns entschließen, mit dem Fahrrad nach Tarifa zu fahren und das zu besorgen, was wir vergessen haben: Sommerkleidung! Wir haben viele dicke Jacken und Pullis dabei (die man abends auch gut brauchen kann), aber nicht eine kurze Hose! Wir werden in einem netten kleinen Laden fündig. Zweimal kurze Hosen und zweimal lässige Hemden bitte – und schon sind wir auch für die hier herrschenden Temperaturen ausgestattet! Ärgerlich nur, dass wir „davon“ daheim reichlich hätten! Die Ladenbesitzerinnen hat’s gefreut. Zurück am Campingplatz gönnen wir uns jeder ein Weihnachtsbier…
Und entdecken die neue Weihnachtsdekoration auf der Terrasse..
Anschließend gehen wir zum WoMo und Jeannine kocht Chili con Carne. Ein typisches Essen für Heiligabend 😅 Auf das Weihnachtsmenue haben wir verzichtet. Wir hatten keine Lust darauf, den ganzen Abend mit Fremden zusammensitzen zu müssen (wenn’s nur beim Bier ist, kann man aufstehen und gehen…) Natürlich sitzen wir bei unserem Festessen draußen und schauen aufs Meer. Sehr schön!
Nicht zu vergessen: Tagsüber haben wir noch mit Freunden und Familie Video-telefoniert. Alle saßen in dicken Pullis, teilweise erkältet, in ihren geheizten Wohnzimmern. Während wir mit dem Telefon in den Schatten gehen mussten….
Sonntag, 25. Dezember
(Claus) Heute müssen wir kurz alles im und ums Auto zusammenräumen, da (nach 7 Tagen) unser Frischwassertank leer und unser Brauchwassertank voll ist. 300 m Fahrt, auffüllen bzw. entleeren und wir können uns wieder auf unserem Platz installieren. Heute dann sogar die Markise ausgefahren, da es direkt in der Sonne zu warm ist.
Montag, 26.12.
Ich mache einen Fahrradausflug mit Ziel Cap Trafalgar (wo Lord Nelson eine Seeschlacht gegen die Franzosen gewonnen hat). Der Radweg ist Teil des europäischen Fernradwegenetzes. Um darauf zu stoßen, fahre ich zunächst wieder die N340 und biege dann auf eine kleine Landstraße Richtung Bolonia. Das letzte Stück bis zum Radweg ist eine Piste, die ich mit meinem Rad nicht fahren kann, also schiebe ich. Sollte ja kein Problem sein, weil bald der Fahrradweg kommen soll. Der jedoch ist ebenfalls eine Piste. Geröll und Sand. Für geübte Mountainbiker vielleicht kein Problem, für mich schon. Ich schiebe also weiter und bin sicher eine Stunde zu Fuß unterwegs. Das wäre eigentlich eine wunderbare Wanderstrecke, aber mit dem schweren E-Bike kein großes Vergnügen. Bis ich endlich in Bolonia auf befestigten Wegen gelandet bin, ist klar, dass ich das Ziel keinesfalls schaffen werde. Egal, ich fahre um den Ort herum in die Hügel und bestaune einen grandiosen Blick auf die Wanderdüne, die von oben wie eine Mondlandschaft aussieht, und auf bizarre Felsformationen. Der Radwanderweg zweigt wieder ab und führt in ein Naturschutzgebiet – ich fahre dankend weiter, weil ich heute nicht mehr schieben mag. Fazit: Vielleicht sollte ich mir mal eine Karte besorgen!
Abends genehmigen wir uns Tapas in der Campingbar und genießen einen grandiosen Sonnenuntergang und die Wellen, die bis auf die Terrasse spritzen.
Dienstag, 27. Dezember
Es stürmt. Wir frühstücken trotzdem wieder draußen und halten das Tischtuch fest. Danach trinken wir an der Campingbar Bar einen Kaffee. Wir schauen uns das Silvester-Menu-Angebot an, sind aber noch nicht sicher, ob wir reservieren sollen.
Ich beschließe,, einen Strandspaziergang nach Tarifa zu machen. Der Hinweg ist super. Die Kitesurfer tanzen übers Meer, die Sonne glitzert auf dem Wasser, der Wind treibt den Sand vor sich her und pudert alle unbedeckten Körperteile.
Leider habe ich mein Timing nicht ganz genau durchdacht. Parallel zum Strand gibt es eine große Lagune, die an einer Stelle wie ein Bach ins Meer fließt. Dort muss man durchwaten. Bei Flut fließt das Wasser landeinwärts und macht den Übergang tiefer und schwieriger (das hatte ich letztes Jahr schon mal, ist unangenehm). Weil die Flut beim Rückweg fast ihren Höchststand erreicht hat, traue ich mich nicht, den Weg am Strand zu nehmen. Was bleibt, ist die schon bekannte N340. Erst nach etwa 5 km kann man von dort wieder Richtung Meer abbiegen (davor ist wieder Lagune). Na ja. Nach insgesamt 19 km komme ich etwas fertig am Wohnmobil an, stolz, dass ich es geschafft habe. Gegen die Knieschmerzen gibt’s ja Voltaren.
Mittwoch, 28.12.
Kurzer Zwischenstand zum Thema Gasadapter: Inzwischen bemühen wir täglich die netten Mitarbeiter vom Campingplatz, die für uns beim Wekstatt-Laden anrufen. Während in den letzten Tagen jeweils die Nachricht kam, dass das Teil noch nicht eingetroffen sei, heute die Botschaft, es sei da, aber das falsche. Man habe es wieder zurückgeschickt. Wir sollten doch morgen nochmal anrufen. Vielleicht ist das Ganze ja eine verkappte ZEN-Übung.
Trotzdem müssen wir mal wieder einkaufen. DURO-Helga hat uns schon vor einigen Tagen gebeten, ihr ein spezielles Brot vom Lidl mitzubringen und uns präzise Anweisungen dazu gegeben. Eigentlich meiden wir deutsche Supermärkte im Ausland, weil wir ja möglichst authentisch einkaufen wollen. Aber Helga zuliebe fahren wir also zu Lidl. Wir sind nicht allein, der Parkplatz ist voller Wohnmobile. Aber was soll’s, Lidl hat nicht nur besagtes Brot, was eine dunkle Wohltat zu den üblichen spanischen Baguettes ist. Er ist auch sehr gut sortiert und hat besseres Obst und Gemüse als die spanische Variante. Man lernt nie aus.
Nachmittags nur ein ganz kleiner Strandspaziergang und abends ein Schwätzchen mit Helga, die sich über das Brot freut.
Freitag, 30.12.
Es ist nicht zu fassen: ENDLICH haben wir den Gasflaschenadapter bekommen! Nachdem die nette Mitarbeiterin vom Campingplatz heute noch dreimal (!) mit Alvarez vom Werkstatt-Laden telefoniert hat, fahre ich frohgemut nach Tarifa gefahren, nur um schon wieder vor verschlossener Tür zu stehen. Aus lauter Verzweiflung rufe ich selbst bei ihm an und verstehe irgendwie, dass die Lieferung des Päckchens 15 Minuten später erfolgen solle. Und da steht dann tatsächlich das Päckchen auf der Ladentheke. Alvarez ist sichtlich erleichtert, dass er diesen Riesenumsatz (17 EUR) endlich abschließen kann. In der Gebrauchsanweisung steht übrigens, dass man das Teil nicht für Wohnmobile einsetzen darf, aber diesen Hinweis werden wir definitiv ignorieren. Jetzt brauchen wir nur noch eine spanische Gasflasche. Die sollen wir am Dienstag bekommen. Schauen wir mal, welcher Dienstag das sein wird….
Samstag, 31.12.
Der sogenannte Buddha-Trail ist die perfekte Silvesterwanderung. Das finden andere auch, wie ich beim Weg zum kleinen Buddha feststelle, der oberhalb des Torre de la Peña in einer Felsnische auf seine Besucher wartet. Der steile Aufstieg wird mit spektakulären Ausblicken in beide Richtungen entlang der Küste belohnt. Völlig egal, dass ich die gleiche Tour letztes Jahr schon einmal gegangen bin, die Aussicht ist überwältigend. Als kleine Achtsamkeitsübung baue ich mein erstes Steinmännchen, was übrigens viel einfacher geht, als ich dachte. Oben auf dem Kamm stehen Windräder in Reih und Glied.
Auf der anderen Seite des Kamms geht es genauso steil wieder durch Macchia und Pinienwälder und mit Blick auf die Bucht von Tarifa nach unten. Bei einem meiner diversen Umwege heute laufe ich an einem halbvertrockneten Pferdekadaver vorbei, der mich ein bisschen erschüttert. Aber nach soviel Buddha und Achtsamkeit heute beschließe ich, dass diese Begegnung kein schlechtes Omen ist.
Unser abendliches Silvesterprogramm besteht in einer ausgedehnten Plauderei mit unseren neuen Platznachbarn aus Köln*. Danach und nach dem Essen sind wir beide so müde, dass wir uns nur mal ganz kurz aufs Bett legen. Kurz vor Mitternacht wachen wir auf, essen die 12 spanischen Glückstrauben, stoßen miteinander an – und liegen um 0:30 schon wieder im Bett.
*(Claus) Die Kölner Nachbarn fahren zufällig auch einen schwarzen Peugeot Boxer. Eine Nummer kleiner als unserer und selbstausgebaut.
Ich wundere mich noch, dass ich keine Räder sehe, als sie einparken – später aber sehr schicke Rennräder neben dem Auto stehen. Dies klärt sich, als sie uns erzählen, dass sie passionierte Triathlen sind und ihr Auto „um“ die Räder gebaut haben. Diese sehr teuren Räder sind somit immer im Auto, und wenn sie irgendwo schlafen, können sie diese quer vor sich stellen.
Wir nehmen ein Treffen meines Rotary-Clubs in Mulhouse zum Anlass für ein verlängertes Wochenende im Elsass. Am Donnerstag fahren wir über Freiburg zunächst nach Neuf-Brisach, direkt hinter der Grenze. „Neubreisach“ wurde Ende des 17. Jahrhunderts für Ludwig XIV. von Festungsbauer Prestre de Vauban auf dem Reißbrett entworfen. Die Stadt hat einen 8eckigen Grundriss mit doppelter Festungsmauer, die in 8 Wehrtürmen endet. Die Straßen sind schachbrettförmig angelegt und führen alle auf den großen Exerzier- und Marktplatz in der Mitte. Der ist wirklich riesig angesichts der Größe des Dorfs mit seinen 2000 Einwohnern. Immerhin gibt es dort ausreichend Parkplätze, auch für unser Wohnmobil.
Wir wollten uns nicht nur das Städtchen anschauen, sondern vor allem eine Street Art Gallery, die in einem Teil der Kasematten in der Festungsanlage untergebracht ist: MAUSA Vauban. Den Tipp hatten wir übrigens von einer Reisesendung im Fernsehen, und dieser Besuch war schon die ganze Reise wert! Seit der Eröffnung 2018 wurden und werden Street-Art-Künstler aus der ganzen Welt eingeladen, um jeweils einen Bereich des 1200 qm großen Gewölbekellers zu gestalten. Echt beeindruckend.
Nach dem Besuch fahren wir – nach einem Abstecher in einen französischen Supermarkt! – weiter nach Mulhouse, wo wir uns auf dem sehr netten Campingplatz installieren.
Freitag, 23.9.
Bis wir ausgeschlafen, gefrühstückt und ein bisschen herumgekruschtelt haben, ist es früher Nachmittag. Wir spazieren entlang eines Kanals in die Stadt und bewundern auf dem Weg wiederum ziemlich gute Street Art, die auf die Rückseite von alten Industriegebäuden gesprüht wurde. Die Altstadt von Mulhouse ist nicht sonderlich groß und schnell erkundet. Am nächsten Tag werden wir erfahren, dass die Stadt auch weniger bekannt ist für ihren mittelalterlichen Kern als vielmehr für die lange industrielle Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert reicht. Nicht umsonst wurde Mulhouse als das „französische Manchester“ bezeichnet.
Zurück auf dem Campingplatz erwarten uns schon meine rotarischen Freunde Martin und Ruth, die mit ihrem Wohnwagen direkt aus Spanien hergefahren waren. Wir verabreden uns zum Apéro, der nahtlos ins Abendessen übergeht. Am Ende geht unser gemütliches Campertreffen bis nach Mitternacht. In echter Campingtradition harren wir dabei die ganze Zeit mit Decken und Fellen im Freien aus.
Samstag, 24.9.
Am Samstag Mittag beginnt das eigentliche Programm. Anlass ist ein sogenanntes Partnerclub-Treffen der befreundeten Rotary-Clubs aus Kreuzlingen, Augsburg und Mulhouse. Die Mulhouser haben anlässlich des 90jährigen Bestehens ihres Clubs ein besonderes Programm auf die Beine gestellt. Hier einige Auszüge:
Die Mulhouser empfangen uns in einem hippen Restaurant in einer ehemaligen Maschinenfabrik, dem Nomad Café. Das Café ist in einem alten Industriequartier von Mulhouse angesiedelt, genannt „La Fonderie“ (Giesserei). Was es damit auf sich hat, erklärt uns in der anschliessenden Führung Pierre Fluck, Professor für Technikgeschichte und Industrie-Archäologie an der Uni Haut-Alsace. Mulhouse blickt auf eine lange industrielle Vergangenheit zurück. Bereits im 18. Jahrhundert wurden textilverarbeitende Manufakturen gegründet – zunächst in der mittelalterlichen Altstadt. Später wurden größere Fabriken rund um die Altstadt angesiedelt, und in den 1820er-Jahren ein ganz neues Industrieviertel gegründet, die Fonderie. Hinter dieser Entwicklung stand die Industriellenfamilie Köchlin, die im 18. Jahrhundert aus der Schweiz (genauer, aus Stein am Rhein) eingewandert war. André Koechlin gründete eine Maschinenfabrik, die Eisenbahnen ebenso herstellte wie Industrie- und Dampfmaschinen sowie Waffen und Munition. Diese Gründung ist übrigens Vorläuferin der heutigen ALSTOM.
André Koechlin baute die erste französische Dampflokomotive, „Napoleon“, die er 1837 auf einer Teststrecke von Mulhouse nach Thann einsetzte. Start dieser Teststrecke war „Kilometer 0“ in der Fonderie. Die Teststrecke war Vorläuferin der ersten Eisenbahnlinie von Basel nach Strasbourg.
Die Fonderie besteht aus einer Ansammlung zum Teil riesiger Fabrikgebäude in Backsteinarchitektur. Das grösste dieser Gebäude wurde als „Kathedrale“ bekannt – eine „Kathedrale der Arbeit“, wie sich Professor Fluck ausdrückt. Heute ist hier ein Campus der Universität Haute-Alsace für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Jura untergebracht. In anderen ehemaligen Industriegebäuden sind eine Kunstakademie sowie ein Kunstmuseum etabliert.
Während Pierre Fluck über die Industriearchitektur der Fonderie und ihre geschichtlichen Hintergründe referiert, bekommen wir von Rotarier und Drohnenspezialist Gabriel Martin einen Einblick in das „KM0“ genannte Gebäude. Es bietet Platz für diverse digitale Start-ups und beherbergt eine Akademie, in der Interessierte ohne Zugangsvoraussetzung zu Programmieren ausgebildet werden. Die Akademie ist auf der Suche nach „Genies“, die möglicherweise den herkömmlichen Bildungsweg nicht absolvieren konnten oder wollten. Ausgebildet und gefördert wird, wer will und kann. Ein weiterer Referent ist Morgan Zeller, dessen Unternehmen „Première Place“ im KM0 beherbergt ist und sich auf Suchmaschinen-Optimierung spezialisiert hat.
Sonntag, 25.9.
Der Sonntag beginnt mit dem Besuch des 1.-Weltkrieg-Denkmals „Hartmannswillerkopf“, einem knapp 1000 m hohen Berg, von dem aus man einen Panoramablick auf das Rheintal hat. Wegen der guten Sicht war er im 1. Weltkrieg von strategischer Bedeutung und vor allem im Kriegsjahr 1915 heftig umkämpft. Die Franzosen beschossen das Schlachtfeld beim Hartmannswillerkopf von den Vogesen-Tälern aus, die Deutschen aus der Rheinebene. Die Truppen verschanzten sich in Schützengräben, die nur wenige Meter auseinander lagen. Unter unvorstellbaren Bedingungen (Kälte, Nässe, Ungeziefer, Schmutz, ständiger Gefechtslärm) mussten die Soldaten kämpfen und zahlten einen immensen Blutzoll. 30.000 Soldaten fielen am Hartmannswillerkopf, der bis Kriegsende umkämpft war. Tragischerweise gab es keinerlei Geländegewinne, das Sterben war völlig umsonst. Die Frontlinie zog sich über 90 km die ganze Vogesenkette entlang bis Strasbourg. Heute noch sind am Hartmannswillerkopf die Schützen- und die Versorgungsgräben sowie die Granatlöcher zu sehen. Und heute noch wird regelmäßig Munition aus der Erde geborgen.
Nach Kriegsende wurden Tausende Gefallene exhumiert und bestattet, wobei der Namen der Toten häufig nicht ermittelt werden konnte. Anfang der 20er Jahre errichteten die Franzosen ein Nationaldenkmal, das nach einer Renovierung zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns zu einem deutsch-französischen „Memorial“ umgewandelt und von beiden Staatspräsidenten eröffnet wurde: ein Zeichen für die deutsch-französische Versöhnung.
Nach der Besichtigung des Memorials und des angeschlossenen Museums sind wir alle ziemlich still und betroffen. Der anschließende Besuch in einem Elsässisch-zünftigen Berggasthaus hellt die Stimmung allerdings wieder auf.
Es ist schon später Nachmittag, als wir wieder auf dem Campingplatz sind. Wir verabschieden uns von Martin und Ruth, die noch einige Tage bleiben wollen, und machen uns auf den Heimweg, diesmal über Basel.