15.5. – 20.5.2021
Samstag 15.5.
Das Wetter ist durchwachsen, aber wir fahren ohne viel Verkehr die altbekannte Strecke über Chur und durch den Bernardino Richtung Lago Maggiore. Wir treffen zunächst Freunde, die ein sogenanntes Rustico hoch über dem Lago Maggiore besitzen. Der Blick von dort ist einfach traumhaft.
Sonntag 16.5.
Am nächsten Tag fahren wir weiter ins Maggia-Tal zu einem Stellplatz in Bignasco.
Das Maggia-Tal ist bis dorthin relativ weit und flach und teilt sich in dem Ort in das Bavona- und das obere Maggia-Tal. Der Stellplatz besteht aus einer größeren Wiese neben einem Sport- und Helikopter-Landeplatz und nur wenige Minuten von einem ziemlich imposanten Wasserfall entfernt.
In Bignasco gibt es einen alten Dorfkern mit – zum Teil verlassenen und zum Verkauf stehenden – Rustici. Die Häuser sind aus Granitsteinen in Trockenbauweise errichtet und mit Granitschindeln gedeckt. Auch die Mauern und Wege sind aus Granit. Der dunkle Stein bildet einen wunderbaren Kontrast zu dem leuchtenden Grün der Wälder rund herum.
Heute sind die meisten dieser Häuser Feriendomizile, während die Einheimischen gemauerte und verputzte (und wahrscheinlich besser gedämmte) Häuser zu bevorzugen scheinen. Ein älteres Haus aus dem 16. Jahrhundert wurde restauriert und zeigt eine besondere Variante der tessinischen Rustici: Auf einem gemauerten Erdgeschoss sitzt auf vier pilzförmigen kleinen Pfeilern das eigentliche Wohnhaus aus Holz, wahrscheinlich wegen der besseren Belüftung.
Es gibt ein – natürlich ebenfalls steinernes – Trockenhäuschen, in dem früher Kastanien – ein Hauptnahrungsmittel in den südlichen Alpentälern – über einem Dörrfeuer langsam getrocknet wurden. Die getrockneten Kastanien wurden in Hanfsäcke gepackt, die man gegen Steine schlug, um die Schalen zu lösen. Danach konnte man die Kastanien zu Mehl vermahlen. Was für ein Aufwand! Heute bewundert man das pittoreske Häuschen, aber letztlich zeugt es von der bitteren Armut zeugt, die in solchen Tälern geherrscht haben muss. Ich wandere einmal um das Delta Bignasco – Caverno herum und orientiere mich mithilfe der wirklich genialen Schweiz Mobil-app. Abends kochen wir zweigängig (erst Spargelsalat, danach mitgebrachtes Hühnercurry) und schlafen – besser!
Montag 17.5.
Nach dem Frühstück entschließen wir uns, weiter hoch ins Maggia-Tal zu fahren. Die Straße windet sich dem Maggia-Flußbett entlang, das ziemlich wild aussieht, mit großen, wie hingeworfenen Felsblöcken und wenig Wasser, das trotzdem mit beeindruckender Geschwindigkeit dahinschäumt. An einer Stelle steigen wir von der Straße hinunter und klettern ein bisschen auf den Felsen herum. Dazwischen türkisfarbenes bis moosgrünes Wasser.
In Prato-Sornico fahren wir an einer Gaststätte mit Terrasse vorbei und finden, dass es Zeit für einen Kaffee ist. Claus bleibt gleich zum Mittagessen sitzen und plaudert mit einem Radfahrer, während ich eine Runde laufen gehe.
Hier ist es noch viel schöner als in Bignasco, und in alle Richtungen scheint es tolle Wanderwege zu geben. Claus gabelt mich im nächsten Ort Peccia wieder auf, und wir machen uns auf die Suche nach einem Übernachtungsplatz. Der Radfahrer hatte ihm von einem neuen Stellplatz in Prato-Sornico erzählt. Den gibt es wirklich, ganz neu, bei einer Eissporthalle und praktisch um die Ecke vom Lokal, in dem wir saßen. Dort bleiben wir auch. Wir starten nochmal eine Runde – ich zum Laufen, Claus zum Drohne-Fliegen-lassen.
Ich wandere diesmal der Maggia entlang in die andere Richtung nach unten durch das Dorf. Überall wunderbare Durch- und Ausblicke zwischen eng stehenden, aber größeren und schön verputzten Häusern, dem Kirchturm und den dahinterliegenden Bergen.
Der alte Dorfkern wirkt deutlich wohlhabender als der in Bignasco – und war es auch. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde vor allem im oberen Maggiatal Holz geschlagen, durch den Fluß aus dem Tal transportiert (was man sich bei der geringen Wassermenge heute kaum vorstellen kann) und vornehmlich nach Italien verkauft. Prato-Sornico wurde wohlhabend durch diesen Holzhandel. Die unkontrollierten Rodungen führten allerdings dazu, dass das Maggiatal Anfang des 20. Jahrhunderts nur noch ca. 20% Waldfläche hatte. Nach Aufforstungen Mitte des 20. Jahrhunderts sind es heute wieder fast 60%.
Wir sitzen auf unserem Parkplatz in der Sonne, trinken ein Bierchen und finden es großartig. Auch das Menu ist wieder lecker, und wir fallen früh ins Bett.
Dienstag 18.5.
Morgens statte ich dem Dorfladen in Prato – dem einzigen weit und breit – einen Besuch ab. Was von außen eher unscheinbar daherkommt, ist ein Feinkostgeschäft mit Nachhaltigkeitsanspruch! In zwei Gewölberäumen werden Biogemüse, Käse aus der Region und eine kleine aber feine Brotauswahl verkauft. Außerdem gibt es eine Abfüllecke für Wasch- und Putzmittel.
Nach dem Frühstück starte ich zur nächsten Wanderung talaufwärts nach Mongo, um dort mit Claus zusammen die Kapelle San Giovanni Battista von Mario Botta anzuschauen. Die Haarnadelkurve wurde offensichtlich auf dieser Strecke erfunden! Claus kommt bei der Hochfahrt auch im Auto ganz schön ins Schwitzen. Der Wanderweg ist auch nicht ohne – zwar sehr gut zu laufen, aber – steil! Nach einer Kuppe breitet sich der Talkessel von Mongo aus, und man erkennt schon von weitem die Kapelle mit ihrer besonderen Form erkennen.
Die alte Kirche, die an dieser Stelle stand, wurde 1986 von einer Lawine verschüttet. Architekt Mario Botta, der aus dem Tessin stammt, errichtete die neue Kirche aus den Steinen es Maggiatals – aus grauem Gneis von Riveo und weißem Marmor aus dem Steinbruch von Peccia. Der Platz um die Kirche wurde an Stelle des alten Friedhofs erbaut. Obwohl San Giovanni ein Fremdkörper zwischen den traditionellen Granithäuschen ist, fügt sie sich doch auf erstaunliche Weise in die dörfliche Umgebung ein. Der Kirchenraum ist wirklich beeindruckend und trotz seiner postmodernen Bezüge von zeitloser Schönheit.
Nach dem Besuch der Kirche fahren wir wieder zurück und beschließen, auch die nächste Nacht auf unserem Eishockey-Parkplatz zu verbringen. Bevor wir uns ins Womo zurückziehen (es regnet wieder), plaudern wir noch mit unseren Nachbarn, die im Tessin wohnen und bereits seit längerem „Wohnmobilisten“ sind. Von ihnen erfahren wir auch von den strengen Übernachtungsregeln im Tessin.
Mittwoch 19.5.
Wir fahren wieder nach Bignasco. Nach einem Kaffee in der Sonne sind wir bereits gegen Mittag auf unserem Wiesen-Stellplatz und sind bald froh, so früh dran zu sein. Am Abend ist die Wiese voll, und wir zählen 67 Wohnmobile! Ich mache mit Claus einen Spaziergang zum Wasserfall und durch den alten Dorfkern.
Während er danach das Treiben auf dem Stellplatz beobachtet, mache ich mich nochmal auf den Weg. Ich laufe das Tal zurück bis Brontallo. Der Wanderweg ist ein alter Saumpfad, früher die einzige Verbindung ins obere Maggia-Tal. Er führt durch den Wald immer oberhalb der Maggia entlang.
Auf Höhe von Brontallo gibt es eine der typischen Steinbrücken über die Maggia (hoch und steil), die angesichts des geringen Wasserstands alle ein wenig übertrieben erscheinen. Aber es gibt überall Hinweisschilder, dass der Wasserstand auch kurzfristig ansteigen kann, wenn nämlich an einem der vielen Wasserkraftwerke das Wasser abgelassen wird.
Von der Brücke aus geht es – steil!!! – nach oben zum Dorf Brontallo, das sich inmitten von nicht mehr bewirtschafteten Terrassenfeldern 300 Meter oberhalb des Flusses an den Hang krallt. Heute lebt der Ort natürlich vom Tourismus, und viele der Rustici sind Zweitwohnungen. Aber man kann sich vorstellen, wie mühsam es gewesen sein musste, die Terrassenfelder zu versorgen und alles auf dem eigenen Rücken oder bestenfalls mit Eseln bergauf und bergab transportieren zu müssen.
Von Brontallo soll es laut Swiss Mobil App einen Postbus zurück nach Bignasco geben. Mitten in den Bergen funktioniert die App, mit der ich auch den Fahrschein lösen kann, der Bus ist pünktlich und der Fahrer nimmt die Haarnadelkurven mit beeindruckender Eleganz. In der Schweiz funktioniert die Infrastruktur eben! Nach 15 Min. bin ich wieder in Bignasco und ganz glücklich über diesen wunderbaren Ausflug. Abends beobachten wir mit Daunenjacken und Schaffell die Spätankömmlinge auf dem Stellplatz und die vielen Kinder, die sich zu mehrsprachigen Spieltrupps zusammenschließen.
Donnerstag 20.5.
Es wird voller – und wir machen uns auf den Heimweg. Auf dem Weg zurück nach Locarno sind alle Parkplätze am Weg bereits belegt. Wir kommen ohne Stau durch Locarno und Cugnasco bis zur Autobahn nach Bellinzona. Nach einer Rast kurz vor dem Bernardino-Tunnel mit wunderbarem Blick ins Mesox hinunter fahren wir ohne Stau nachhause, wo wir gegen 16 Uhr ankommen.